44. Wut und Schmerz

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Keuchend klammerte ich mich am Türrahmen fest und duckte mich unter einem vorbeifliegenden Teller, der über mir an der Wand in tausend Stücke zersprangen.

Mein Herz blieb stehen, als ich Antonio sah, der mit einem Küchenmesser auf einen knurrenden, riesigen Werwolf einstach.

"Thalia...", hörte ich ein leises Wispern und drehte mich die Richtung, aus der die Worte kamen. Sky zog sich an einem Stuhl hoch, auf ihrer Stirn prangte eine riesige Platzwunde und das Blut lief ihr das Gesicht runter.

"Sky!", rief ich entsetzt und wollte in ihre Richtung, doch in dem Augenblick sah ich aus den Augenwinkeln, wie etwas von der Seite auf mich zukam, und bevor ich reagieren konnte wurde ich gern die Wand geschleudert. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst, ich sackte stöhnend in mich zusammen.

Ein Schatten ragte über mir auf, mit tauben Fingern tastete ich nach meinem Dolch. Knurrend beugte sich der Werwolf über mich, bereit es zu beenden.

Einen Moment schien die Welt stillzustehen, mit angstgeweiteten Augen starrte ich dem Monster entgegen, als es blitzschnell vorschnellte fand ich endlich den silbernen Griff und riss die Klinge hoch. 
Mehrere Millimeter vor meiner Brust schnappte die Zähne zu, ich hielt die Luft an. Dann brach der Werwolf vor meinen Füßen zusammen, der Dolch steckte in seinem Bauch.

Zitternd und Benommen kroch ich zu Seite und zog angewidert die Klinge aus der Leiche. Ohne weiter zu warten taumelte ich zu Sky, die zusammengesunken auf dem Boden saß. Ihre Brust hob und senkte sich leicht, doch alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und sie sah mich angsterfüllt an.

"Bitte", flüsterte sie. "Hilf mir."

Erst verstand ich nicht, was sie meinte, dann nickte ich unsicher und sie schloss erleichtert die Augen.

Ich biss mir auf sie Lippe und sah mich um. Antonio kämpfte nun mit zwei Wölfen gleichzeitig, doch seine Bewegungen wurden immer langsamer.
Wie lange würde er noch durchhalten?

Es lag an mir. Mal wieder.

Mit zitternden Fingern strich ich Sky die Haare aus der Stirn, sie stöhnte auf, als ich ihre Wunde berührte.
"Oh, sorry", entschuldigte ich mich sofort, dann konzentrierte ich mich nur noch auf Sky.

Ich blendete alles um mich herum aus, den Kampf, die Schreie, das Klirren zerspringender Scheiben. 
Was zählte, war der helle Schimmer, der von meinen Händen ausging und langsam das Blut zum versiegen brachte.

Sky entspannte sich unter mir, sie seufzte.
"Danke." Sie lächelte schwach.

"Keine Ursache", winkte ich ab und blinzelte. "Kannst du aufstehen?"

Sie nickte, dann presste sie ihre Lippen aufeinander und zog sich am Stuhl hoch. Grimmig sah sie sich um, dann griff sie nach einem Tablett mit Teebesteck. "Ich denke, da drüben braucht jemand unsere Hilfe."

Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren schleuderte sie alles auf den Werwolf, der mit den Rücken zu uns stand. Er jaulte auf, dann drehte er sich um und funkelte uns aus seinen glühenden Augen an.

"Achtung, du gehst hinter den Tisch, und wenn ich diese Typen hier abgelenkt habe, nimmst du Antonio mit und gehst hoch. Draußen wartet bestimmt Verstärkung, also brauchen wir einen anderen Ausweg", zischte ich Sky zu und ging in Kampfstellung.

"Was hast du vor?", fragte sie panisch. "Wir lassen dich nicht alleine!"

"Sky, das hier wird gleich die Hölle. Vertrau mir, und schaff Antonio hier raus, hörst du?" Meine Stimme klang ruhig, eine unbekannte Macht lag in ihr. Die Heilerin nickte, dann ging sie in Deckung.

Meine ganze Aufmerksamkeit lag nun auf dem Werwolf, der sich langsam näherte.

Hoffentlich klappt das, war das letzte, was ich dachte, bevor ich mich auf ihn stürzte.

Ich schaffte es irgendwie, mich um Sprung in einen Wolf zu verwandeln, mein Gegner war so überrumpelt, dass er zurückwich. Doch seine Überraschung dauerte nicht lange, kaum hatte ich mit der Wimper gezuckt, stieß er mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.

Statt mich zu wehren, horchte ich in mich hinein. Tief in mir lauerte sie, diese zerstörerische Wut, und wartete darauf, an die Oberfläche zu kommen.

Mein Mal fing an zu brennen, ich biss die Zähne zusammen und sah den Werwolf an.
Die Welt stand in Flammen, das einzige, was ich fühlte, war gähnende Leere und lodernde Wut.
In meinen Adern pulsierte die dunkle Macht, in meinen Augen brannte das Feuer.

Ich spannte meine Muskeln an, dann fuhr ich mit meinen Krallen meinem Gegner über seinen weichen Bauch. Er schrie vor Schmerz auf, ich schleuderte ihn von mir. Er prallte mit so einer Wucht gegen den Tisch, dass das Holz brach. Ich hörte Knochen brechen, dann verwandelte ich mich zurück und Schritt langsam auf ihn zu.

Wie ein Häufchen Elend lag er da, schwer atmend.
Seine Schmerzen strömten in mich hinein, ich konnte seine Verzweiflung spüren.

Lachend drehte ich mich um und durchsuchte den Raum. Ich sah Sky, die Antonio hinter sich mitzerrte.

Sie waren schwach, so schwach. Schon wollte ich einen Schritt auf sie zu machen, als er mir in die Augen sah.

Diese wunderschönen, grauen Augen.

Die Wut verebbte, doch plötzlich wurde ich nach hinten gerissen, ich hörte das Knurren, dann war da nur noch das höllische Brennen auf meinen Rücken.

Wieder Schreie, es klingelte in meinen Ohren.

Schwarze Punkte in meinem Blickfeld, alles verschwamm.

Und diese lindernde Schwärze, die alles um mich herum verschlang und ihre kühlen Finger auf meine Wunde legte.

Das einzige, was mich noch hier in dieser Welt hielt, war diese Stimme.
Immer wieder holte sie mich zurück, zurück in diese brennende Welt, diese Welt voller Schmerz.

Meine Lippen wurden trocken, in meinen Fingerspitzen breitete sich angenehme Taubheit aus.

Es tat gut.

Ich wollte nicht mehr.

Nur in dieser Dunkelheit versinken und mich vergessen.

Und dann hörte ich wieder diese Stimme. "Thalia, bitte, komm zurück!"

Meine Sinne waren seltsam benebelt, fast als würde ich wieder in diesem endlosen Nichts schweben.

„Bitte", ertönte wieder diese Stimme, sie bereitete mir Kopfschmerzen und hielt mich in der dunklen Wirklichkeit. „Verlass mich nicht."

Mit meiner letzten Kraft schlug ich die Augen auf, und dann spürte ich die lindernde Wärme, die sich in meiner Brust entfachte.

Ich war zurück.


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt