58. Ruhe vor dem Sturm

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Ich lief mit Fridolin zwischen den Bäumen hindurch und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Schon seit Tagen war ich mit meinem Hund nicht mehr draußen gewesen, Morgan hatte sich um ihn gekümmert und ihm sogar einen picken Quietsche- Knochen gekauft.

"Ich bin ein schlechtes Herrchen, Fridolin", seufzte ich. "Und eine schlechte Freundin."

Er stupste mich mit seiner feuchten Nase an und lief schwanzwedelnd weiter.

"Mum wird dich bald abholen", meinte ich traurig und kraulte ihn kurz hinterm Ohr. "Und dann wirst du deine neue Familie kennenlernen."

Ich beobachtete die Sonne, die schon hoch am Himmel stand. Bald würde das Training anfangen, ich verzog bei dem Gedanken mein Gesicht. Die Wunde, die mir gestern die Werwölfin zugefügt hatte, war schon fast ganz verheilt, was jedoch nicht bedeutete, dass ich mich schmerzfrei bewegen konnte.

Doch der Schmerz und der brennende Gedanke an Rache lenkte mich von dem ab, was heute war.

Neumond.

"Komm Fridolin, wir müssen zurück", murmelte ich abwesend. Ich bahnte mir den Weg durch die hohen Farne, bis ich wieder das Grundstück des Klosters betrat. Schnell ging ich ins Haus Nr 7, zog mich um und gab Fridolin sein Fressen.

Dann zögerte ich kurz. Auf dem kleinen Tisch im Wohnzimmer lag immer noch der Gürtel mit den Messern und den zwei Dolchen, den mir die Jungs zum Geburtstag geschenkt hatten. Bis jetzt hatte ich die Waffen nicht angerührt.

Du wirst sie heute noch brauchen, flüsterte mein Unterbewusstsein mir zu.

Seufzend legte ich mir den dunkelbraunen Gürtel um, dann ging ich Richtung Trainingsplatz.

Selbst für einen Spätsommer Tag war es heute heiß, bei jedem meiner Schritte stieg eine Staubwolke hoch. Die Vögel zwitscherten, und die Sonne strahlte besonders hell.
Was für eine Ironie, dachte ich verbittert.

Ich erreichte die anderen, die schon auf mich warteten. TJ und Liam unterhielten sich angeregt, Morgan sah auf und stieß den etwas abwesend wirkenden Steve an, während Antonio mich in die Arme schloss, sobald ich in Reichweite war.

"Hey", murmelte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Hey", erwiderte ich lächelnd, er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.

"Du bist wunderschön", raunte er in mein Ohr.

"Und du bist heiß", entfuhr es mir.

"Ach, bin ich das?" Er grinste breit, ich sah verlegen zur Seite.

Hinter uns räusperte sich jemand, ich drehte mich um.
"Man Leute, könnt ihr euch nicht ein Zimmer nehmen?", meinte TJ und zog die Nase kraus.

"Sorry, Bro", grinste Antonio, "Aber das-"

"Alexandra ist da", unterbrach ich die Beiden mit hochrotem Kopf. Meine Mentorin kam auf uns zu, wir stellten uns in einem Halbkreis um sie auf. Wir waren insgesamt zwölf, meine Freunde und Isabelle, die mir fröhlich zuwinkte. Neben ihr standen drei Jugendliche, die ich nicht kannte, vor ihnen mit verschränkten Armen Autumn.

"Ich hoffe, ihr seid heute gut ausgeruht", begann Alexandra. "Denn heute findet kein normales Training statt." Allgemeines Stöhnen erklang, ich war also nicht die einzige, die nicht begeistert von dieser Idee war.

Sie ließ die Worte in der Luft verklingen, dann sah sie uns alle nacheinander an. "Ihr müsst lernen, euch auch in eurer menschlichen Gestalt verteidigen zu können. Oft seid ihr als Wolf zu auffällig, oder habt keine Zeit, euch zu verwandeln."

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt