15. Schatten und Einhörner

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Mit der Dunkelheit kamen die Erinnerungen.

Immer wieder sah ich vor meinem inneren Auge, wie meine Grandma starb, und ich bei dem Versuch, sie zu retten, versagt hatte. Ja, ich gab mir die Schuld an ihrem Tod.

Die nächste Erinnerung kam, eine Erinnerung, die ich versucht hatte zu verdrängen. Damals war ich fünf, und wie sooft bei meinen Großeltern. Es war der Tag, an dem Grandpa gestorben war. Mein fast zehn Jahre jüngeres Ich hatte ihn überreden können, im Wald in der nähe des Hauses verstecken zu spielen. In der ersten Runde hatte er mich schon nach kurzer Zeit gefunden, bei der zweiten und der dritten auch. Dann war ich mit suchen dran, mir fiel es nicht so leicht. Ich umrundete einen Baum, und da fand ich ihn. Wie er verkrampft auf dem Waldboden lag, die leeren Augen nach oben in den Himmel gerichtet...

"Thalia!", riss mich Morgans vorwurfsvolle Stimme aus meiner Trance. Sie saß neben mir am hölzernen Küchentisch und beobachtete besorgt, wie ich stumm vor mich hin stierte. "Was ist mit dir los?"

Ich seufzte. "Nichts. Das alles ist einfach nur etwas viel für mich."

Sie sah mich verständnisvoll an und hakte nicht mehr weiter nach. "Gut", meinte sie dann. "Ich muss jetzt los, noch ein paar Sachen erledigen."

Morgan erhob sich von ihrem Stuhl und wir umarmen uns. "Also dann bis morgen", verabschiedete ich mich. "Und danke, dass du dich so lieb um mich kümmerst."

Sie winkte ab. "Keine Ursache."

An der Tür blieb sie noch einmal stehen. "Deine Mum kommt morgen, sie muss mit dir noch was klären, ich würde also nicht zu lange schlafen."

Ich grinste. "Keine Angst. Ich stehe morgen extra früh und wecke dich um sechs, damit du bloß nichts verpasst."

Sie kicherte. "Wie nett von dir", meinte sie dann.

Ich sah ihr noch hinterher, als sie zum Haus Nr. 5 ging und die Tür aufschloss.

Alleine in der Küche zu sitzen und nichts zu tun war nicht so mein Ding, also knipste ich unten das Licht aus und ging nach oben, nachdem ich den Tee ausgetrunken hatte, den Morgan mir hiergelassen hatte.

Erst jetzt merkte ich, wie müde ich war, und auch die Verletzungen machten sich wieder bemerkbar.

Ich tapste in Richtung Badezimmer, um mich fertigzumachen, doch stattdessen landete ich in einem weiteren, dunklen Zimmer.

Mist, falsche Tür.

Ich wollte mich gerade umdrehen und eine andere Tür ausprobieren, als mir in einem der Regale die dunklen Umrisse eines Gegenstandes auffielen. Blind tastete ich nach einem Lichtschalter, mit einem kurzen Flackern ging die Glühbirne an der Decke an.

Neugierig betrachtete ich den schlichten, zerfledderten Einband des dünnen Buches und blies die dicke Staubschicht von der dicken Pappe, als ich es in die Hand nahm. Meine Mum musste es hier zurückgelassen haben, nach kurzem Zögern klemmte ich es unter meinen Arm und nahm es mit ins Schlafzimmer.

Doch als ich durch die Tür trat, übermannte mich schon die Müdigkeit, und ich schaffte es gerade noch zu meinem Bett, was mir eine härte Landung auf dem Boden ersparte.

Ich kippte in die weichen Kissen, und das letzte woran ich dachte war, dass ich Morgan wegen dem Schlafmittel umbringen würde.

Ich fand mich auf einer Lichtung wieder, der Mond schien hell über mir. Doch diesmal vermittelte er mir nicht dieses Gefühl der Geborgenheit, wie normalerweise. Alles war kalt und dunkel, die Schatten schienen tief und dunkel.

Von Panik ergriffen sah ich mich um. Mein Herz raste, ich wollte nur weg von hier.

Wo war ich?

Zwischen den Bäumen meinte ich, einen umher huschenden Schatten zu erkennen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, ich spürte, wie kalte Augen mir bei jeder Bewegung folgten. Schnell lief ich Schutz suchend zwischen die Bäume.

Alles schien so real und auf eine unheimliche Weise vertraut.

Der Wind trug mir eine leise Melodie zu, ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich beschleunigte meine Schritte, doch es wurde immer lauter, bis ich aufgab und mich umdrehte.

Und da trat es schon zwischen den Bäumen hervor, das pinke Einhorn in seiner vollen Pracht. Natürlich auf einem grellen Regenbogen hüpfend.

Auf irgendeine Weise machte es mir Angst.

"Liebes, kleines pinkes Einhorn", murmelte ich und wich langsam zurück.

Wie aufs Stichwort schwoll Pinky nach meinen Worten auf die Größe eines Pferdes an.

"Oh bitte nicht", flüsterte ich.

Pinky schnaubte verächtlich und wirklich un- einhornhaft und zeigte mir eine Reihe tödlich spitzer Haifischzähne.

Ich trat vorsichtig einen Schritt zurück. Und noch einen.

Pinky kam immer näher und schnappte nach mir, an meinem Rücken spürte ich etwas Hartes.

Warum musste ausgerechnet auf diesem Fleck ein Baum stehen?

Ein paar Zentimeter vor meinem Gesicht schnappten die spitzen Zähne abermals zu.

Da sah ich aus den Augenwinkeln, wie etwas Großes, Schwarzes zwischen den Bäumen hervorsprang. Im nächsten Moment hörte ich nur noch ein lautes, aufgeregtes Quieken, als Pinky zur Seite geschleudert wurde.

Dann ertönte ein lautes RATSCH und die nervtötende Musik verstummte urplötzlich.

Schwer atmend sank ich auf den kalten Waldboden, ich konnte mein Herz immer noch rasen hören.

Mein Blick wanderte zu Pinkys Überresten und ich erstarrte.

Der schwarze Werwolf hob seinen Kopf und sah mich aus seinen glühenden Augen an.


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Ein neues Kapi *-*

Und ich konnte einfach nicht anders, ich musste dieses Video mit dazutun... Passt ja zu der Geschichte...


Eure AnSo



Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt