30. Wärme

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Nach einer Weile löste ich mich von Antonio und sah betreten zu Boden, meine Wangen färbten sich feuerrot. Was war nur in mich gefahren? Doch bevor ich hastig einen Schritt zurücktreten konnte, hielt er mich sanft am Handgelenk fest. Ich sah zu ihm hoch und begegnete seinen Augen, versank in seinem Blick.

"Thalia, was ist los?", fragte er noch einmal, diesmal leiser.

Mit einer raschen Bewegung wischte ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln weg und holte tief Luft. Meine Beine zitterten leicht, doch ich sah Antonio weiterhin an, konzentrierte mich auf die dunkelblauen Sprenkel in seinen Augen, die im gedämpften Licht, das aus der Küche drang, leicht funkelten.

"Ich...Kampf...", stammelte ich und atmete dann noch einmal tief ein. "Die Werwölfe haben meine Mum."

Kaum waren die Worte über meine Lippen gekommen, drehte sich alles um mich herum und ich spürte, wie meine Beine einknickten. Das nächste, was ich wahrnahm, war die sich drehende Decke und zwei starke Arme, die sich um mich legten und zu sich zogen.

Ich schloss die Augen, beruhigte mein wild schlagendes Herz und klammerte mich krampfhaft an Antonio fest. Dann verlor ich plötzlich den Boden unter meinen Füßen und ich kreischte erschrocken auf, als er mich ohne Vorwarnung hochhob und bis zum Sofa trug.

"Das - war - nicht - lustig!", keuchte ich und gab ihm einen leichten Schubs, als er sich neben mich fallen ließ. Er grinste spitzbübisch.

"Ist das der Dank dafür, dass ich dich aufgefangen habe?", wollte er mit gespielter Enttäuschung wissen und kreuzte beleidigt seine Arme vor der Brust. Ich kicherte und wurde rot.

"Danke", murmelte ich und rollte mir den Augen, als er mich selbstgefällig angrinste. Dann wurde seine Miene wieder ernst und ich wurde schlagartig wieder in die Realität zurückgezogen. Für wenige Sekunden hatte ich tatsächlich die Sorgen und Ängste vergessen, die mich die ganze Zeit über plagten.

Ich musste schwer schlucken und ballte meine rechte Hand zu einer Faust, um die aufsteigende Wut zu kontrollieren.

"Thalia, bitte, ich muss wissen, was passiert ist", redete Antonio sanft auf mich ein.

Die Wut verpuffte und ich spürte nur noch gähnende leere. Ich seufzte resigniert und rieb mir die Stirn, als ich leise anfing zu reden. "Es ging alles so schnell", murmelte ich. "Unser Auto wurde von einem der Werwölfe gerammt, bevor einer von uns reagieren konnte wurde ich gegen die Scheibe geschleudert. Es ist ein Wunder, dass ich das überlebt habe." Nein, es ist kein Wunder. Es ist meine verflixte Gabe. "Der Anführer von ihnen, Lucius, nahm Mum gefangen." Ich erwähnte nicht, wie er mir Schmerzen zugefügt hatte, erwähnte nicht das Feuer in meinem Körper. "Er sagte, sie brauchten mich lebend, und dann ist dieser Mann aufgetaucht, und ich... ich..." Ich schluchzte und zitterte am ganzen Leib. Antonio legte beruhigend einen Arm um mich, ich redete schnell weiter.

"Ich habe meine Hand ausgestreckt und... er ist zusammengebrochen. Es war nur eine Berührung...Den anderen habe ich auch umgebracht..." Bei den letzten Worten brach meine Stimme. Antonio drückte mich fester an sich, doch ich befreite mich panisch aus seinem Griff.

"Nein!", schrie ich. "Antonio, ich bin ein Monster! Ich habe den Mann nur einmal berührt, und ich habe ihm sein Leben ausgesaugt. Ich habe beide umgebracht, ohne darüber nachzudenken!" Er streckte eine Hand nach mir aus, doch ich sprang auf. Ich hatte Angst, große Angst, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Ich hatte Angst, dass ich bei seiner Berührung diesen Drang verspüren würde, der die Flammen in meinen Adern entfachte.

Aufgewühlt lief ich in der Küche hin und her, bis ich mich schließlich müde an die Wand lehnte. Mit geschlossenen Augen hörte ich leise Schritte, die sich näherten. "Bitte, lass mich. Ich bin ein Monster", flüsterte ich verzweifelt.

Ich hob leicht den Kopf und sah ihn flehend an. Er stand so nah vor mir, dass ich die Hitze seines Körpers spüren konnte und sein Atem meine Stirn streifte. Wie immer war ich wie gefesselt von seinem Blick, versank im undurchdringlichem grau seiner Augen.

"Thalia", murmelte er und hob leicht mein Kinn.

"Nicht", flüsterte ich und spürte, wie eine einzelne Träne meine Wange hinunterfloss. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, doch bis jetzt wollte ich es mir nicht eingestehen. "Antonio, ich bin ein Monster", wiederholte ich schwach. "Ich will dir nicht...verletzten..."

Unsere Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Es zerriss mich innerlich, die Angst vor mir selbst und die Gefühle zu ihm.

Ich schloss die Augen, als seine Lippen meine berührten und er mich fest an sich zog. Es war ein sanfter Kuss, doch er ließ mich die graue Welt um mich vergessen. Ich genoss das Gefühl des Glücks, auch wenn es nur wenige Momente lang dauerte.

Zögernd legte ich meine Arme in seinen Nacken und spürte sein Lächeln auf meinen Lächeln. Er strich sanft über meinen Rücken, was mich erzittern ließ.

"Wir schaffen das", flüsterte er in mein Ohr. "Wir befreien deine Mum, es wird alles gut."

Ich spürte seinen Atmen in meinem Nacken und befreite mich sanft aus seinem Griff. Keuchend lösten wir uns voneinander, mein Gesicht glühte und seine Haare standen in alle Richtungen ab. Ich kicherte und er strich sich verlegen durch seine Frisur.

Grinsend standen wir uns eine weile gegenüber, in Gedanken ging ich immer wieder unseren Kuss durch.

"Ähh... möchtest du etwas zu trinken?", fragte er schließlich und brach unser Schweigen. "Tee, Kakao..."

Ich lachte über seinen unbeholfenen Themenwechsel. "Ja, Kakao klingt gut", meinte ich schließlich. Er drehte sich um und ging zu einem der Küchenschränke.

"Welchen Becher willst?", fragte er grinsend und hielt zwei hoch. "Wir hätten hier einen hellgrünen und..." Er musterte misstrauisch den anderen. "Einen rosanen mit weißen Punkten. Wo auch immer der herkommt."

"Ich nehme den pinken, danke", kicherte ich.

Ich beobachtete, wie er Milch aus dem Kühlschrank holte und nach dem Kakaopulver suchte. Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum.

Als er sich erneut zu mir umdrehte erstarb das Lächeln auf seinen Lippen. "Was ist los?", fragte er beunruhigt und war in wenigen Schritten bei mir. Ich holte tief Luft.

"Antonio, die Werwölfe haben eine Bedingung gestellt. Wenn ich die erfülle, lassen sie Mum frei."

Er sah mich besorgt und abwartend an, und bei meinen nächsten Worten weiteten sich vor Schreck seine Augen.

"Wenn ich mich nicht bis zum nächsten Neumond ausliefere, stirbt sie."




Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt