46. Vergangenheit

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Die Matratze war hart und die Decke kratze auf ihrer Haut, doch es war besser als nichts. Müde und erschöpft schloss sie für einen Augenblick die Augen, doch sie fand keine Ruhe.

Es fühlte sich wie die halbe Ewigkeit an, seit sie das letzte Mal an der frischen Luft gewesen war, das letzte Mal dir warmen Sonnenstrahlen auf der Haut gespürt hatte.

Doch am meisten schmerzte seine Anwesenheit.

Jedes Mal, wenn er in ihre Zelle kam, ihr von den Abscheulichkeiten berichtete, die er geplant oder schon durchgeführt hatte, jedes Mal fühlte sie sich in die Vergangenheit zurück versetzt.

Es tat so weh.

Wenn sie sein Gesicht sah, in seine nun so kalten Augen blickte, kam es ihr so vertraut und doch so fremd vor.
Doch es war nicht mehr wie früher, alles hatte sich verändert.

Sie hatte sich verändert.

Er hatte sich verändert.

Nun standen sie auf verschiedenen Seiten, sie führten ein neues Leben.

Wie sehr hatte sie versucht, es zu vergessen, doch die Erinnerungen bleiben für immer.

Sie spürte, wie die Tränen sich einen Weg an die Oberfläche bahnten, doch sie hielt sie nicht zurück.

Wieder hörte sie Schritte auf dem Gang, wieder würde der Schlüssel im Schloss gedreht und ein breiter Lichtstrahl fiel auf den Boden der Zelle, als dir Tür geöffnet wurde. Hastig fuhr sie sich mit den Händen durchs Gesicht, wischte die Tränen weg und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

Mit dem Rücken an der kalten Wand sah sie zu ihm auf, versuchte bei dem eisigen Blick nicht zurückzuzucken.

"Was willst du?", fragte sie mit tonloser Stimme.

"Verliert da jemand...die Hoffnung?" Auf seinen Lippen lag ein kaltes Lächeln, er beäugte triumphierend ihre verquollenen Augen.

"Bist du deswegen hier hergekommen?" Ihre Gefühle verbarg sie wieder sorgsam hinter einer Maske.

Hier waren Gefühle eine Schwäche.

Und schwach sein bedeutete , dass man so gut wie tot war.

Gelangweilt ging er vor ihr in die Hocke. "Wo ist dein Temperament nur hin, Marelyn? Wo bleiben die bissigen Antworten, die du mir immer gegeben hast?"

Sie schwieg.

"Nun gut, lassen wir die alten Zeiten", seufzte er. "Aber bist du denn nicht neugierig, wie mein Tag heute war?"

Genervt verdrehte sie die Augen. "Was gibt's, dass es mich so brennend interessieren sollte?"

Ein hinterhältiges Lächeln huschte über sein Gesicht. "Hm.... Was war heute nochmal? Genau, da war dieser Angriff auf diese alte Priesterin deiner tollen Göttin..."

Amüsiert hob sie eine Augenbraue. "Was hat Amelie verbrochen, dass ihr ihr einen Besuch abstattet?"

"Deine Tochter ist auf die Idee gekommen, sie um Rat zu fragen."

Sie hätte jubeln können. Thalia hatte endlich Antworten erhalten, aber dann wusste sie auch...

"Lass uns mal hoffen, dass das kleine Geheimnis nicht aufgedeckt hat, das du schon so lange vor ihr verbirgst", stellte er grinsend fest.

Bei dem Gedanken, dass Thalia es wusste, überlief es sie heiß und kalt.

"Was wollt ihr von ihr?", lenkte sie vom Thema ab.

"Das fragst du noch?" Er stand auf, und lief in dem kleinen Raum hin und her. "Weißt du...Deine Tochter hat etwas, was gewissermaßen... Zu uns gehört. Was uns bei unseren Zielen helfen könnte. Außerdem ist ja schon fast eine von uns, nicht wahr?"

Wütend sah sie ihn an und ballte eine Hand zur Faust. "Sie wird nie...Sie wird nie eine von euch sein. Meine Tochter ist stark, sie wird nicht zu euch... "

"Du solltest nicht vergessen, wer ihr Vater ist", unterbrach er sie knapp und seine Augen funkelten unheilvoll. "Außerdem wird sie früher oder später zu uns kommen müssen, sonst sieht sie dich nie wieder." Dann fügte er noch hinzu. "Und damit sie sieht, dass wir das alles ernst meinen, haben wir jemanden vorbei geschickt, der das an einem ihrer kleinen Freunde demonstriert."

"Du hast was?" Entsetzt blickte sie ihm hinterher, als er die Tür aufschloss.

"Keine Angst. Er lebt noch. Gerade noch. Falls Sie ihn rechtzeitig finden, ist alles gut." Ein letztes Mal sah er sie an. "Friede, Freude, Eierkuchen, wie immer. Gute Nacht."

Sie meinte noch sein Lachen zu hören, als er die Tür zuknallte und endlich verschwand.

Vergangenheit war Vergangenheit.

Und das würde auch so bleiben.

Sie schloss die Augen und verdrängte sie Erinnerungen, wobei sie endlich in einen erholsamen Schlaf glitt.


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt