»sechs {✔️}

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Thalia's POV

Ich hatte das Gefühl zu schweben.

Zu schweben, in einem endlosen Nichts ohne Raum und Zeit, ohne Kontrolle über meine Gedanken oder meinen leblosen Körper. Ich war alleine, verlassen in meiner eigenen Stille, in der meine eigenen Gedanken sich zu klaren Bildern und real wurden.
Doch es waren nicht mehr meine Erinnerungen, sondern ein Film, den ich aus einer Distanz betrachtete, ohne Einfluss auf die Ereignisse.

Ich fand mich in einer dunklen Nische wieder, um mich herum flimmerte das bunte Neonlicht und ließ die tanzenden Menschen auf der Party zu flackernden Schatten verschmelzen, während ich als eine unsichtbare Silhouette meinen unsicheren Blick durch die Menge schweifen ließ.

Denn ich kannte diesen Raum, diese Menschen, diesen dunkel gekleideten Typen der sich mir gegenüber aus seiner Starre löste und unauffällig einer Person folgte, die sich zwischen den schwitzendem Körpern hindurchdrängte - einer Person mit dunklen Locken und grünen Augen. Er folgte mir.

"Das habe ich schon einmal erlebt", murmelte ich mit schwacher Stimme und starrte entsetzt meinem zweiten Ich hinterher, dass gefolgt von dem gruseligen Typen um die Ecke in Richtung Toiletten verschwand. "Aber das heißt..."

Etwas in mir hielt mich zurück, es auszusprechen. War ich tot?, lautete die Frage, die ich mir stellen musste, die mein Herz wie ein Spitzer Pfeil durchbohrte.
Würde ich nie wieder aufwachen? Für immer als geisterhafter Gast in meinen eigenen Erinnerungen festhängen?

Meine Lippen schnappten nach Luft, ich fühlte mich als würde mir von hinten jemand den Atem abschnüren, stolpernd machte ich ein paar Schritte nach vorne und stützte mich an der Wand ab. Ich wollte noch nicht tot sein, sondern mein Leben leben... egal, was es mich kostete.
Egal, wo ich war, es gab immer einen Weg hinaus - das musste es.

Ohne weiter zu zögern löste ich mich aus meiner Starre und beeilte mich, mir einen Weg zwischen den Menschen hindurch zu bahnen, der dröhnende Bass und der starke Geruch nach Alkohol rückten in den Hintergrund meiner Wahrnehmung. Schlitternd rutschten meine Füße über das glatte Parkett während ich immer schneller wurde und mehrere Personen umrundete, mein Ziel hatte ich klar vor Augen.

Doch als ich endlich den dunklen Flur mit den leuchtenden Lämpchen an den Türen erreichte, fing plötzlich der Boden an zu Beben und zu schwanken. Ich konnte schon deutlich meinen zusammengesunkenen Körper am gegenüberliegenden Ende sehen, aber in diesem Moment wandte sich der Typ von dem ich mich verfolgt gefühlt hatte von meinem zweiten Ich ab und schien mich mit seinem Blick zu durchbohren. Seine Augen, das einzige, das ich unter dem Schatten der Kapuze erblicken konnte glühten in einem nicht mehr menschlichen Goldton, die Pupillen waren animalisch geweitet, wie bei einem Raubtier.

Noch bevor ich aber reagieren konnte erschütterte ein weiteres Beben den Auszug meiner Erinnerungen, wie als hätte eine Bombe eingeschlagen stürzte der Flur in sich ein. Fliegende Bruchstücke explodierten in alle Richtungen, geistesgegenwärtig warf ich meine Hände in die Luft und bedeckte schützend meinen Kopf.

Was passiert hier?!, wollte ich schreien, doch ich wusste dass ich keine Antwort erhalten würde. Von niemandem, denn ich war auf mich alleine gestellt, gefangen in Elementen meiner eigenen Erinnerungen.
Und ich würde einen Weg hinaus finden, was auch immer hier los war.

Der Boden unter meinen Füßen erstarrte, orientierungslos sah ich umher. Meine Umgebung hatte sich wie durch Geisterhand verändert, ich stand mitten auf der Straße direkt vor der alten, steinernen Fassade des Hauses, in dem ich wohnte.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt