56. Chaos

3.5K 306 5
                                    

"Na, was darf es für dich sein, Süße?", fragte der dunkelhäutige Typ an der Bar und grinste mir zu. Antonio legte mir besitzergreifend einen Arm um die Schulter, was ich mit einem entschuldigenden Lächeln dem Barmann gegenüber quittierte.
"Eine Cola, bitte."

"Für mich auch eine", meinte Antonio und zog mich zu einem kleinen Tisch am Fester.

"Also", fragte ich, als wir unsere zwei Gläser Cola bekamen, "Was ist deine Lieblingsfarbe?"

Verdattert sah er mich, ich zuckte nur mit den Schultern und nahm einen Schluck. "Was denn? Ich weiß fast nichts über dich."

Antonio lachte. "Okay, machen wir es so: jeder darf eine Frage stellen, dann ist der andere dran."
Ich nickte, dann machte ich eine auffordernde Geste.

"Hmm...Meine Lieblingsfarbe...", überlegte er. "Ich denke, grün."

"Jetzt du." Ich nahm einen weiteren Schluck Cola und machte mich für die Frage bereit.

"Mit wem hattest du deinen ersten Kuss?"

"Nicht mit dir, Süßer", lachte ich, dann wurde ich wieder ernst. "Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Aber es war auf einer Party, mit meinem Kumpel.

Sein Blick war unergründlich, ich musste schlucken und biss mir auf die Lippe. "Jetzt bin ich wieder dran... Mit wem hattest du deinen ersten Kuss?"

Gespannt wartete ich auf die Antwort und blendete die laute Musik aus, die um Hintergrund lief.

"Mit Autumn", sagte er leise.

Ich spürte einen Stich im Herzen, als ich ihren Namen hörte und senkte die Augen.

"Hey", versuchte er, mich zu beruhigen. "Das mit Autumn ist vorbei."

Zweifel überkamen mich, und wieder hörte ich Amelies Worte:
Pass auf dein Herz auf, sonst könnte es dir jemand brechen.

Und dann noch meine persönliche letzte Begegnung mit Autumn. Ihre Warnung klang noch deutlich in meinen Ohren.

Das mit euch wird eh nicht lange halten...Antonio will nichts von Mädchen wie dir.

Hatte sie dieganze Zeit recht gehabt? War es mein Fehler, ein riesiger Irrtum?

"So, ich bin wieder an der Reihe", riss Antonio mich aus den Gedanken, ich sah wieder auf. "Thalia, was wirst du morgen tun?"

"Ich denke mal, zuerst mit Fridolin Gassi gehen", wich ich aus. "Und dann-"

"Das meine ich nicht", unterbrach er mich ernst. Schweigend rührte ich in meiner Cola herum.

"Thalia..." Er beugte sich vor und hob mein Kinn. "Ich möchte nur dass du weißt... Vergiss nie, dass ich immer für dich da sein werde. Egal, was passiert. Du kannst dich auf mich verlassen, was auch immer du vorhast."

Wieder überkam mich schlechtes Gewissen. Schon seit Tagen hatte ich meine Entscheidung gefällt, doch meine Freunde vertrauten mir immer noch.

"Antonio, ich..."

In diesem Moment explodierte das Fenster neben uns.

Ich handelte rein nach Instinkt und riss dir Arme schützend vor den Kopf.

"Runter!", rief Antonio und ich rollte mich unter den Tisch. Um mich herum klirrte Glas, ein Regen aus Scherben prasselte neben mir auf den Boden. Leute schrien und rannten durcheinander, mir stieg ein stechender Geruch in die Nase.

"Werwölfe", schrie ich über den Lärm Antonio zu, der grimmig nickte und mich auf die Beine zog.
Er zerrte mich mit sich, bis wir die Theke erreichten.

"Hier." Er warf mir zwei lange Messer zu, die ich panisch auffing und versuchte, mir dabei nicht in dir Hand zu schneiden.

"Wir müssen hier raus", drängte er und bahnte sich einen Weg durch die panische Menschenmasse, ich folgte ihm. "Weiter!", rief er als wir endlich den Ausgang erreichten und ich dir Tür aufriss.

Kühle Nachtluft wehte mir entgegen, ich atmete tief ein, dann rannten wir die Straße entlang. 
"Würden Werwölfe uns wirklich in der Öffentlichkeit angreifen? ", keuchte ich und sah mich vorsichtig um.

"Ich weiß es nicht", antwortete Antonio und blieb plötzlich stehen. "Warte", murmelte er und hob eine Hand.

Wir hatten eine dunkle Gasse erreicht, weit weg von den hellen Laternen und den lauten, fahrenden Autos.

Ein lautes, tiefes Knurren ertönte, Antonio ging in Kampfstellung, ich rieb mir nur Benommen mein brennendes Tatoo. Schon sprang der erste Werwolf auf uns zu, ich konnte gerade noch mein Messer heben, doch Antonio drehte sich geschickt und stieß es dem Monster in die Seite.

"Hinter dir!", warnte er mich, ich wirbelte herum und stach zu.

Da spürte ich einen lodernden Schmerz in meiner linken Seite, ich sah runter und sah die langen, roten Krallenspuren auf meiner Haut. Mein T-Shirt war zerfetzt ich wankte leicht und hob wieder meine zwei Messer, bereit weiter zu kämpfen.

"Es sind zu viele." Antonios Stimme zitterte leicht, wir standen Rücken an Rücken. Er verschränkte seine Finger mit meinen, ich lächelte traurig.

Die Werwölfe hatten einen engen Kreis um uns gebildet, alle waren bereit, anzugreifen.

"Wenn haben wir denn da?" Einer der Monster hatte sich zurück verwandelt, die Frau kam grinsend auf mich zu. In ihren Schritten lag etwas raubtierhaftes, sie hielt ihren gebogenen Dolch lässig in der Hand. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden.

"Wie süß." Sie sah auf unsere Hände, er drückte meine Hand fester.

"Was wollen Sie?", fragte Antonio laut.

Sie ging auf ihn zu und tippte mit dem Dolch auf seine Brust. "Vielleicht sollte ich Lucius doch noch um die Erlaubnis fragen, dich mitzunehmen", meinte sie gedankenverloren. "Du würdest ein tolles Spielzeug abgeben."

Ich machte ein angewidertes Geräusch, sie drehte sich blitzschnell um und drückte mir die kalte Klinge an den Hals.

"Leider wurde mir aber ausdrücklich verboten, einen von euch kleinen Wölfen etwas schlimmes anzutun", flüsterte sie eindringlich. "Aber, ich muss ja auch noch meinen Spaß haben." Langsam fuhr sie mit dem Dolch meine Schulter entlang, ich wagte es kaum zu atmen.

Mit einer eleganten Bewegung zog sie dir Klinge quer über mein Schlüsselbein, ich schrie auf.

"Thalia!" Antonio hielt mich mit beiden Armen fest, während vor meinen Augen die mit Blut bedeckten Pflastersteine und die grauen Hauswände verschwammen.
Keuchend holte ich Luft und presste meine Hand auf die blutende Wunde.

"Lasst euch dies eine Warnung sein", hörte ich die Frau durch den Schleier des Schmerzes sagen, der meine Sinne vernebelte. "Wenn das Mädchen morgen nicht alleine auf der Lichtung im toten Wald ist, sterbt ihr alle. Bis auf den letzten von euch kleinen Wölfen. "

Alles geschah wie in einem Traum.

Ich verlor den Boden unter meinen Füßen, als Antonio mich hochhob und zurück zum Motorrad trug.

Die Wunde hörte schnell auf zu bluten, zurück blieb nur die lähmende Erschöpfung, die sich in meinen Gliedern breit machte.

Müde lehnte ich mich gegen Antonio, als die Häuser und Bäume an uns vorbeiflogen, ich starrte in die Ferne.
Und hörte nur noch mein laut schlagendes Herz.


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt