2. Kapitel: Die Ruhe vor dem Sturm

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Nun nur noch mit einem Buch in der Hand verließ Tom den Speisesaal mit direktem Weg zum Waschraum. Er legte die  Geschichte Hogwarts auf dem Rand des Waschbeckens ab und lehnte sich zum Spiegel vor. Fluchend begutachtete er den sich verfärbenden Bluterguss unterm Auge. Tom drehte den Hahn auf und benetzte seinen Hemdärmel mit Wasser. Dann legte er den kalten, klammen Stoff auf die pochende Stelle. Leider war der lindernde Effekt sehr gering und man konnte beobachten, wie der Wangenknochen weiter anschwoll. Als zweites prüfte Tom nun die Stelle an der linken Seite des Oberkörpers, an der Stevens ihn das erste mal getroffen hatte. Über den Rippen zeichnete sich ebenfalls eine Verfärbung ab.

Trotz der Schmerzen war Tom erleichtert, dass der große, stämmige Junge mit seinen Fausthieben keine Knochen gebrochen hatte. Viele der Heimkinder waren den Launen von Stevens schon zum Opfer gefallen und hatten die Hiebe aushalten müssen, Tom war aber bis jetzt verschont geblieben. Mehr als vor Stevens Fäusten hatten nämlich die meisten Kinder - und bis jetzt auch Stevens -  Angst vor den unberechenbaren Gruselgeschichten die man sicher über den geheimnisvollen Tom Riddle erzählte. Angeblich habe der blasse Junge bereits als kleines Kind ohne große Bemühungen Feuer gelegt. Wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Die merkwürdigen Geschichten um Tom Riddles Taten reichten von brennenden Schränken bis hin zu Manipulation. Ein Junge, der sich mit zehn Jahren wohl ein Zimmer mit Riddle geteilt hatte, war am Ende des Sommers ohne jede Vorwarnung aus dem Fenster gesprungen. Es gab natürlich keine Beweise, dass Riddle seine Finger im Spiel gehabt hatte, aber der Dreizehnjährige, der mit zwei gebrochenen Beinen und einer Gehirnerschütterung davongekommen war, beschrieb sein Handeln als Fremdgesteuert. Für die Heimkinder war das Beweis genug, dass Riddle involviert gewesen war. 

Für die Erwachsenen hatten die Anschuldigungen der Kinder aber nicht gereicht, um den Vorkommnissen weiter auf den Grund zu gehen. Für sie war es leichter den merkwürdigen Jungen zu ignorieren, als sich mit seinen Sonderbarkeiten auseinanderzusetzen oder womöglich sogar noch ein Gutachten verfassen zu müssen.

Vermutlich wollte Michael Stevens sich nun, indem er den gefährlichen und unberechenbaren Tom Riddle provozierte, beweisen, dass er keine Angst vor irgendetwas zu haben brauchte. Solange der gruselige Riddle sich nicht wehrte brauchte Stevens sich weder vor dem blassen, merkwürdigen Jungen, noch dem drohenden Kriegsdienst  eingeschüchtert fühlen. Riddle zu schlagen glich folglich einer Mutprobe zum Beweis der eigenen Stärke. Ein Beweis, dass er, Michael Stevens dem Schicksal trotzen konnte.

Tom rümpfte verächtlich die Nase. Dabei zog ein stechender Schmerz durchs Gesicht und zwangsweise entspannte er seine Mimik wieder. Wie könnte er sich ohne Magie an dem dümmlichen Stevens rächen und sein Buch zurückerhalten?

Genervt verzog er sich in den Schlafsaal und nutze den Nachmittag, um die Geschichte von Hogwarts weiter zu studieren.

Gegen 18 Uhr trafen die meisten Heimkinder ein und die Heimleiterin Mrs Hawthorne rief alle zum Abendbrot zusammen. Es gab Haferbrei, wie so oft seitdem der Krieg begonnen hatte und die ganze Bevölkerung, angefangen bei den Heimkindern, Verzicht üben musste. Tom suchte sich abseits vom Rest einen Platz und ließ den Kopf gesenkt, um sein Veilchen zu verstecken. Er konnte  sich jedoch nicht dem Blick der Heimleiterin entziehen. Sie registrierte sofort, wenn eines der Heimkinder etwas zu verbergen hatte. Mrs Prudence Hawthorne hatte die Leitung des Waisenhaus erst seit etwa 3 Jahren übernommen. Mit Kriegsbeginn hatte sich ihre Vorgängerin aus Angst vor den drohenden Bombenangriffen aufs Land versetzen lassen. Eine weise Entscheidung, dachte Tom. Mrs Hawthorn war etwa sechzig. Trug ihr rotes Haar immer in einem streng zusammengebundenen Dutt und ihr spitzes Gesicht war in den letzten drei Jahren durch etliche neue Sorgenfalten immer weicher geworden.

Die Alte Frau hatte eine Schwäche für Tom. Dadurch, dass sie den Jungen erst als er 12 war kennengelernt hatte, hatte sie nie seine schlimme Phase miterlebt. Seit er die Zauberschule besuchte, hatte sich Tom Riddle zwangsweise an Erlass zur vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger gehalten. Davonausgehend waren seine Taten der letzten Jahre schlussendlich weniger grausam. Und wenn er auch ohne direkte Magie mal versucht gewesen war den anderen Kindern missgünstig gegenüber zu sein, achtete er stehts noch bemühter darauf, dass die Unfälle nie auf ihn zurückzuführen waren. Schließlich sollte in Hogwarts niemand ein falsches Bild von ihm erhalten.

Besorgt setzte sich Mrs Hawthorn auf den Platz gegenüber von Tom und lehnte sich zu ihrem Schützling vor: „Tom, ist alles in Ordnung bei dir?" 

Tom hob den Kopf, setze sich aufrecht und erwiderte: „Ja, passt schon, Mrs Hawthorn." 

Die rothaarige Dame stöhnte auf: „Ach das darf doch nicht wahr sein! Wer war das Tom?" 

Tom wollte nicht, dass diese alte Frau seinen Kampf für ihn austrug. Dennoch überlegte er, ob sie sich als geeignetes Instrument für seine Racheaktion erweisen würde. 

„Bitte machen sie sich keine Sorgen, Mrs Hawthorn.", Tom versuchte charmant zu zwinkern. Keine gute Idee, denn der Bluterguss zog schmerzhaft. 

„Ach Tom, das tut mir so leid. So kurz nach deiner Ankunft.", seufzte die Heimleiterin mitleidig. 

Der junge Zauberer mochte es gar nicht bemitleidet zu werden. Ein solches Gefühl wurde ihm nicht gerecht. Trotzdem wollte er seine Abneigung der Heimleiterin gegenüber nicht zeigen und antwortete stattdessen höflich: „Mrs Hawthorn, machen sie sich bitte keine Sorgen."

„Tom, du weißt aber, dass du dich im Fall der Fälle immer an mich wenden kannst. Wenn du es dir noch anders überlegst, kannst du auf mich zukommen." 

Tom schüttelte die unangenehme Hilfsbereitschaft freundlich lächelnd ab und log: „Ich freue mich wirklich, Sie wiederzusehen Mrs Hawthorn." 

Die Heimleiterin strahlte geschmeichelt den Jungen an. Tom fuhr fort: „Ich würde gerne später einen Job als Führungsposition einnehmen, wissen Sie, Mrs Hawthorn? Und Sie sind da so ein großes Vorbild. Ich bewundere Ihr Auftreten und Ihre überzeugende Art." 

Die Wangen der Dame verfärbten sich rosa: „Ach, Tom. Du bist so ein feiner und tüchtiger Junge. Du lernst trotz Ferien immer so viel. Ich hab dich seit deiner Ankunft die meiste Zeit hier im Speisesaal sitzen und lesen gesehen. Du wirst deinen Weg hervorragend bestreiten und sicherlich sehr erfolgreich werden." 

Tom blickte ernst zurück: „Ich gebe auch wirklich mein Bestes. Leider muss ich sagen, fällt das Lernen im Speisesaal nicht so leicht. Andauernd wird man gestört oder äääh... nun ja sie wissen schon." Er deutete auf die inzwischen bläulich gefärbte Wangenpartie. Dann fuhr er fort: „...und in den Schlafsälen haben wir ja keine Schreibtische..." 

Mrs Hawthorns Augen weiteten sich: „Bedeutet das, dir hat dieses Veilchen heute im Speisesaal jemand verpasst als du gelernt hast?" Ihre Stimme wurde etwas lauter und Tom hatte Sorge, die anderen Jungs würden sie beide hören. 

Daher senkte er die Stimme und entgegnete schnell: „Bitte, Mrs Hawthorn, ich möchte nicht noch mehr Streit provozieren. Es wäre nur schön einen Ort zu haben an dem man in Ruhe und ungestört lernen könnte."

 „A-a-aber natürlich, mein Junge. Während ich nicht da bin, überlasse ich dir gern den Schreibtisch in meinem Büro. Dann hast du dort deine Ruhe.", bot die Heimleiterin immer noch erschüttert an. 

Tom bedankte dich und nahm das Angebot gerne an. Hervorragend.

Tom Riddle auf der Suche nach dem Erben von Slytherin (5. Schuljahr)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt