21. Kapitel: Spaziergänge im Unterbewussten

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Nach der Auseinandersetzung mit Lockhart schlief Tom trotz Erschöpfung unruhig. In dem Jungen brodelten verschiedene Gefühle, wie die Zutaten in einem Zaubertrankkessel. Sie bildeten eine trübe Suppe, undurchsichtig verschleierten sie die Sicht. Wut, weil Lockhart ihn provoziert hatte. Verachtung, weil der Ältere Tom klar unterlegen gewesen war. Nervosität, weil Lockhart anscheinend mehr Wissen über Tom besaß, als ihm recht war. Neugier, weil er die Akte aus dem Zaubereiministerium gerne in seine Finger bekommen würde. Hoffnung, weil er sich aus dieser Akte Informationen über die Familie seiner Mutter wünschte. Eifersucht, weil Lockhart und Ava sich wohl näher standen, als es Tom vermutet hatte. Unverständnis, weil sich das Mädchen auf den schleimigen, prahlerischen Idioten eingelassen hatte.

In dieser Nacht waren seine Träume getränkt von all diesen Gefühlen. Undefinierbar wirbelten die Gedanken und Emotionen eine surreale Szenerie herbei.

Professor Slugghorn las einen Brief des Ministeriums vor. Tom müsse die Schule umgehend verlassen. Eine Schande für die gesamte Schulgemeinschaft, weil er in einem dreckigen Waisenhaus der Muggel aufgewachsen war. Eine ausgemerkelte und schwangere Merope Gaunt, seine Mutter, wartete vor den Mauern Hogwarts und nahm ihn mit zu einem Ausflug in den Zoo. Dort starrten sie beide stumm in eine Vogelvolliere, in der Ava und Lucas Lockhart saßen und wild herumknutschten. Statt Münder hatten sie Schnäbel. Plötzlich steckte Tom auch in einem Käfig und Zoobesucher beäugten ihn. Er wollte weglaufen, ihren Blicken ausweichen, konnte aber nur kriechen, weil er eine Schlange war. Nein, er war nicht nur eine Schlange. Er bestand aus sieben einzelnen Schlangen. Schwer zu koordinieren, bewegte er seine sieben Körper langsam und unbeholfen, sodass er sich nicht ineinander verknotete.

***

Am Freitagmorgen wachte Tom müder auf, als er eingeschlafen war. Seine Augenlieder wollten sich kaum öffnen. Er beneidete Oliver und Charles, die heute beide die erste Stunde frei hatten und ausschlafen durften. Nach mehrfachen versuchen gelang es Tom endlich, sich aus dem Bett zu rollen und ins Badezimmer zu stapfen. Er duschte eiskalt, um durch den Schock seine Lebensgeister zu erwecken. Vergeblich. Ein Blick in den Spiegel offenbarte dunkle Augenringe.

Gähnend packte er seine Sachen zusammen und ging langsam zur Großen Halle. Die erste Schulwoche hatte nicht nur ihn gezeichnet. Viele Schüler saßen müde an den vier Haustischen verteilt und stützen ihre viel zu schweren Köpfe resigniert ab. Tom trank seinen Earl Grey in großen Zügen und füllte die Tasse mehrfach nach. Ebenso wie bei der kalten Dusche blieb die Wirkung leider aus. Missmutig beobachtete er die anderen Schüler. Seine Miene hellte sich etwas auf, als er den Ravenclawtisch absuchte.

Dort saß Lucas Lockhart. Die Pusteln auf seinem Gesicht leuchteten rot und er versuchte das Gesicht hinter seinem Umhang zu verstecken. Tom musste sich selbst für seinen grandiosen Einfall loben, dem eitlen Ravenclaw eben diesen Fluch aufzuhalsen. Er wusste, dass die Wirkung bei einer perfekten Ausführung des Fluchs selbst mit dem richtigen Heiltrank erst nach einem Tag nachließ.

Versunken in Müdigkeit und Genugtuung erschrak Tom, als sich eine angenehm kühle Hand auf seinen Nacken legte.

"Guten Morgen, Riddle", die helle Stimme von Ava nah an seinem Ohr. Tom drehte sich zu ihr um.

"Hey", lächelte er und gähnte.

Die Hexe musterte ihn mitfühlend: "Nicht gut geschlafen?"

Tom zuckte die Schultern: "Passt schon. Hast du denn gut geschlafen?"

Mit einer Selbstverständlichkeit missachtete Ava die Regeln der getrennten Haustische und setzte sich neben Tom an den Tisch der Slytherins: "Hm... ja... Ich merk das Quidditchtraining und Arbeitspensum der letzten Woche doch schon etwas. Aber ich hoffe meine Augenringe sind nicht ganz so tief wie deine?"

Tom Riddle auf der Suche nach dem Erben von Slytherin (5. Schuljahr)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt