Nur aus dem Augenwinkel sah Marian den Lichtschimmer einer scharfen Klinge, die auf sie zu schnellte. Eine Sekunde zog ihr ganzes Leben an ihrem inneren Auge vorüber - doch wenn sie jetzt zögerte, wäre sie tot. Ihr Körper handelte mehr aus Reflex und rasch zog sie ihr eigenes Schwert aus der Scheide. Im gleichen Atemzug riss sie den ganzen Arm ruckartig nach oben, um in einer Verzweiflungstat den Hieb irgendwie abzufangen.
Ihr ganzer Körper stöhnte unter der Last, als die Wucht des Angriffs auf ihre Klinge traf. Metall klirrte und ächzte, als die Schwerter unter großem Druck übereinander scharrten und sich verbissen. Marians Arme zitterten und sie wusste, dass sie keine Chance hatte, gegen den Wächter zu bestehen. Zu groß war dessen Stärke und seine Erfahrung im Kampf.
Deshalb wich sie plötzlich zur Seite und ließ jeglichen Widerstand gegen den Angreifer ersterben. Dieser hatte damit nicht gerechnet und stolperte aufgrund dessen ungelenk einen Schritt vorwärts. Mit einer flinken Bewegung war Marian um ihn herum, ließ das Schwert fallen und griff stattdessen nach dem Stuhl des Zählers.
Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, schmetterte sie den Stuhl dem Wachmann in den Rücken. Holz splitterte, zwei Beine brachen ab und der Wächter landete stöhnend auf dem Boden. Um sicherzugehen, schlug Marian noch einmal zu, damit er auch ganz gewiss dort liegen blieb.
Marians Brust hob und senkte sich in großen, hektischen Atemzügen. Ihre Knie erschienen ihr weich und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ihr Blick glitt von einem außer Gefecht gesetzten Wachmann zum Nächsten. Die Wachstube war erfüllt von Stille, abgesehen vom leisen Keuchen der Männer und ihrem eigenen, schweren Atem.
„Ich habe dir doch gesagt, dass der Plan niemals funktionieren wird!", zischte Robin giftig und stieg mit einem großen Schritt über einen der Wachen hinweg. Obwohl der Kampf fürs Erste gewonnen war, hatten sie keine Zeit zu verlieren oder um durchzuatmen.
„Schnell. Packen wir ein, was wir tragen können und dann nichts wie weg!"
In schnellen Handgriffen leerte er eine der hölzernen Kisten, in welchen der Tand eingesammelt worden war und legte stattdessen die Münzbeutel hinein. Ein solcher Beutel war bei Weitem mehr wert und schwerer wiederzufinden. „Wenn der Sheriff erfährt, dass zwei Mann den Zählmeister und vier seiner Wachen ausgeschaltet haben, wird er durchdrehen."Marian half dem flinken Dieb. Da fiel ihr Blick auf eingesammelte Ringe und Ketten, die auf dem Schreibtisch gestapelt worden waren. Eilig griff sie danach und schaufelte sie auf die Steuerbeutel.
„Was machst du denn da?"
„Sie hatten kein Recht, den Leuten das wegzunehmen!"
„Der kleine Tand ist doch nichts wert! Lass ihn liegen!", raunte Robin. Er konnte einfach nicht verstehen, was Marian mit dem Firlefanz wollte. Sicher, der Eine oder Andere vermisste vielleicht sein Eheband. Aber sie konnte ohnehin nicht herausfinden, wem was gehörte. Die Sturheit dieser Frau trieb ihn noch in den Wahnsinn.
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Die Königin von Pfeil & Bogen
Historical Fiction[WATTYS 2023-WINNER/Fesselndste Welt] ** Marian, stehlende Adelstochter mit großem Herzen trifft auf Robin Hood, verwegener Dieb mit gewaltigem Ego. Werden sie alten Schmerz, Vorurteile und schließlich den grausamen Sheriff von Nottingham überwinden...