'Wie tief steckst du schon in Robins klebrigen Fäden, Marian?', fragte sich Guy in einer Mischung aus Frust und Wut. Seit vielen Jahren gestattete er ihr so viel, was andere ihrer künftigen Gattin niemals erlaubt hätten. Er ließ sie lesen, ausreiten und verdammte Hosen tragen! Sogar mit dem Bogen erlaubte er ihr zu schießen, obwohl das für ein Weibsbild undenkbar sein sollte.
„Wer er auch früher gewesen sein mag", seine Stimme troff dabei vor Bitternis, „... er ist es nicht mehr. Robin Hood ist ein Rebell, ein vogelfreier Verbrecher und ein Konspirant." Guy suchte die blauen Augen von Marian, und wünschte sich dort genauso sehnsüchtig dasselbe Verständnis, das Marian in seinen suchte.
Doch beide hofften vergeblich.
„Heute sind gute Männer gestorben. Ist dir das bewusst? Sie haben nichts verbrochen, außer einen Befehl auszuführen. Der Gedanke, den Menschen helfen zu wollen, ist löblich", dabei setzte er sich neben sie und nahm ihre beiden Hände in seine. Flehentlich und beschwörend drückte er sie leicht. „Bitte, lass dich nicht von Locksley in seine selbstmörderischen Verbrechen verwickeln, Marian. Nicht noch mehr als jetzt schon", flehte er inständig.
Unter seinen Worten wurden auch Marians Schultern zunehmend schwerer.
'Ich wollte doch gar nicht, dass so viel Blut vergossen wird. Ich wollte nicht, dass überhaupt jemand sterben muss. Das war so nicht ausgemacht. Es ist nur nicht nach Plan verlaufen.' Sie hätte es zu gern gesagt. Doch Marian wusste, dass Guy es nicht verstehen würde.„Ich möchte den Menschen nur helfen", flüsterte sie leise. Es fühlte sich an, als wäre ihre ganze Welt mit Dornen durchwuchert – und ganz gleich wohin sie sich wandte, jeder Weg erschien falsch.
Guy seufzte leise, sein Daumen strich vorsichtig über ihren flatternden Puls.
„Das weiß ich." Für dieses gute Herz hatte er sie als junger Bursche liebgewonnen. Marian erinnerte Guy immer an ein Kaminfeuer in einem kalten Winter. Wärmend und ein Licht, welches in der dunklen Nacht bis in den finsteren Wald hinaus strahlte – aber manchmal auch so heiß, dass man es zügeln musste. Feuer konnten gefährlich werden, wenn sie außer Kontrolle gerieten. Es half nichts, wenn Flammen zu schnell und zu heiß brannten, bis am Ende nichts als Asche übrigblieb.
„Es ist gefährlich, bitte versteh das doch. Wenn sie herausfinden, dass du etwas damit zu tun hast, werden sie dich im besten Falle zurück in das Kloster schicken und dort für immer mit nichts als Gott und Gebeten hinter dicken Mauern einsperren. Die Krone und auch der Sheriff sind nicht nachsichtig mit Rebellen", versuchte er an ihre Vernunft zu appellieren. „Selbst, wenn DU es bist. Mein Vater ist ebenso wenig einfältig, wie ich es bin." Guy suchte in Marians Augen nach einem Anzeichen, dass in diesen sturen Kopf sickerte, was er ihr sagen wollte.
Da schnaubte Marian bitter. „Glaubst du, ich wüsste nicht, warum dein Vater so gern die Augen verschließt, wenn ich etwas tue, dass ihm nicht gefällt?" Marian war sich sehr wohl bewusst, warum er das tat. Und Guy wusste es auch.
Der junge Mann verzog das Gesicht, seufzte und hob die Hand, um der Maid eine der roten Locken aus der Stirn zu streichen. Es stimmte: Sein Vater duldete viel und sah weg, weil Marian für ihn der Schlüssel war, seiner Familie eine Treppe höher im Adelsstamm zu verschaffen. Wenn Guy sie heiratete, dann wäre ihm das Erbe eines Earls gewiss, statt eines Ritters.
„Aber das ist nicht mein Grund, Marian. Doch weder ich noch dein Titel können dich ständig vor den Konsequenzen deines Handelns bewahren."
Wäre Marian nicht Lady De Burgh und seine Verlobte gewesen, sähe ihr Schicksal schon jetzt vollkommen anders aus. Denn sein Vater und auch er hätten jeden anderen Mann und jede Frau für das, was Marian getan hatte, längst in den Kerker gezerrt und das, ohne jedwede Beweise.
Aber sie war nun mal Marian De Burgh. Seine Marian. Bald würde sie seine Frau sein. Und damit war es seine Aufgabe, sie zu beschützen. Wenn es sein müsste, auch vor ihr selbst. Doch noch wollte er die Hoffnung einfach nicht aufgeben, dass er sie zur Vernunft bringen konnte.
„Ich möchte gar nicht wissen, inwiefern du in das Blutbad heute verwickelt warst", meinte Guy deshalb ein wenig sanfter, „Aber das muss sofort aufhören. Ich konnte diesmal dafür sorgen, dass Schweigen über die beiden Pferde bewahrt wird. Auch unseren beiden Vätern habe ich nichts verraten." Er hob die Hand, um Daumen und Zeigefinger sanft an ihr Kinn zu legen. „Aber ich kann und werde dich dafür nicht noch einmal in Schutz nehmen. Verstehst du, was ich sage?"
„Natürlich", murmelte Marian. Sie fühlte sich wie ein Kind, das eine Rüge von ihrem Vater bekam. Er glaubte, das Beste für sie zu kennen und hielt daran fest. Das Beste, das Beste, das Beste. Sie war es so leid, dass alle ihr sagten, was das Beste für sie wäre.
„Versprich mir, dass du mit Robin Hood nichts mehr zu schaffen haben wirst", verlangte Guy eisern. Er konnte nicht erlauben, dass seine zukünftige Gemahlin sich auf den falschen Einfluss einließ. Erst recht nicht auf Robin Hood. Ganz besonders nicht auf Robin Hood. Das war etwas Persönliches.
„Guy", keuchte Marian.
Dass sie zögerte und sich mit einer Antwort so sehr quälte, die eigentlich so leicht sein sollte, frustrierte ihn nur noch mehr. Guy ballte eine Hand fest zur Faust. Locksley hatte das Mädchen damals nicht zu schätzen gewusst, sie verlassen und war in den Krieg gezogen. Er ließ alles zurück und nun konnte er nicht zurückkommen und denken, er könne es sich einfach zurücknehmen. Guy würde nicht zulassen, dass Robin ihm erneut in die Quere käme, sein Leben in Gefahr brachte und auch nicht, dass er ihm Marian stahl.
„Versprich es mir, Marian", forderte er erneut, diesmal mit mehr Nachdruck. Seine Miene war ernst und erst, als sie langsam nickte, hoben sich seine Lippen wieder ein wenig an. Er tat es nur für ihr eigenes Wohl. Das würde sie sicher zu einem anderen Zeitpunkt verstehen.
Marian hingegen wusste schon in diesem Moment, dass sie ihr Versprechen nicht würde halten können. Und sie fühlte sich schrecklich deswegen.
„Gut. Bitte versteh, dass ich dich nur beschützen möchte", meinte Guy und lehnte sich seiner englischen Rose entgegen, um seine Lippen langsam und zärtlich auf ihre zu setzen. Als wollte er sein Siegel auf weichem, rotem Wachs erneuern – nur um sicherzugehen. „Ich liebe dich, Marian."
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Die Königin von Pfeil & Bogen
Historical Fiction[WATTYS 2023-WINNER/Fesselndste Welt] ** Marian, stehlende Adelstochter mit großem Herzen trifft auf Robin Hood, verwegener Dieb mit gewaltigem Ego. Werden sie alten Schmerz, Vorurteile und schließlich den grausamen Sheriff von Nottingham überwinden...