24. Hast du sie noch alle?

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Während seiner nächsten Nachtschicht wartete Louis darauf, dass sein Kollege Jack eine Pause machte.

Gegen ein Uhr morgens verabschiedeten sich die beiden Männer, und Louis wartete, bis er seine Schritte hinter der Tür nicht mehr hören konnte.

Dann machte er sich schnellstmöglich auf den Weg zum Personalarchiv, dessen Schlüssel er während seiner Nachtschicht gut verwahren sollte.

Blitzschnell schloss er sich in dem kleinen Raum ein und lehnte sich einen Moment lang gegen die kühle Wand.

Trotz der schweren Uniform konnte er deren Kälte in seinem Rücken spüren.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Würde man ihn hierbei erwischen, würde man ihn nicht nur aus dem Militär entlassen, sondern ihn vermutlich sogar noch anzeigen.

Eigentlich konnte er keinen weiteren Ärger gebrauchen, und im Grunde genommen war er auch ein sauberer Kerl.

Aber er konnte sich einfach nicht anders helfen.

Er musste der Sache auf den Grund gehen und die Wahrheit herausfinden.

Mit zitternden Fingern durchsuchte er die Schränke nach Harry's Personalakte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er unter dem Buchstaben ‚S' die richtige Mappe fand.

Sie war dicker als die anderen.

Als er sie aufschlug, sah er sich prüfend um.

Natürlich war niemand außer ihm hier, aber die Angst bestand trotzdem.

Auf der ersten Seite war eine Art Steckbrief, wie es sie von jedem Soldaten in der Armee gab.

Name, Alter, Foto, Geburtsort, Wohnort – und so weiter.

Auf dem Foto sah Harry glücklich aus. Es schien schon ein paar Jahre zurückzuliegen. Die Haare waren kürzer gewesen, das Gesicht noch etwas jungenhafter und der Körperbau zierlich.

Louis lächelte.

Er hatte noch nie darüber nachgedacht, wie er sich Harry als jüngeren Soldaten vorgestellt hatte. Er wusste nicht, was es war, aber irgendetwas an diesem Foto zauberte ihm ein breites Grinsen ins Gesicht, ohne dass er es selbst bemerkte.

Louis blätterte einige Seiten weiter.

Er fand eine ganze Menge Urkunden, Auszeichnungen und eine Kopie des sauber geführten Dienstpasses.

Auch das ärztliche Gutachten war ohne Mängel.

Und dann, ganz hinten, stieß er schließlich auf den Unfallbericht aus dem März.

Gespannt glitten seine Augen über die ersten Zeilen.

Louis' Augen weiteten sich.

... in Folge einer sehr gefährlichen Übung, die bei dieser Witterung unter keinen Umständen hätte stattfinden dürfen ...

Louis schluckte.

Niall hatte ihm zwar gesagt, dass die Wetterverhältnisse furchtbar gewesen waren.

Aber dass Sergeant Johnson die Übung eigentlich gar nicht hätte durchführen lassen dürfen, war ihm neu.

An diesem Freitag, 16. März 1941, betrug die Wassertemperatur an dieser Stelle des Pazifischen Ozeans etwa zehn Grad.

Louis fröstelte allein bei dem Gedanken an solche Temperaturen.

Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass Harry unter solchen Bedingungen überhaupt gefunden und lebend geborgen werden konnte.

Louis' Augen flogen weiterhin über die Zeilen.

Pearl HarborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt