21. Mann über Bord

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Einige Tage später entschloss Louis sich während einer Pause, das Gespräch mit Niall zu suchen.

Als er auf den jungen Mann zuging und ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter legte, wirkte er überrascht.

„Hast du eine Minute?", fragte er.

Niall nickte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Natürlich", antwortete er. „Ist alles in Ordnung, Louis?"
„Ja", gab er zurück. „Ich möchte mit dir über Harry sprechen..."

Niall nickte und sah sich prüfend an.

Hier waren viel zu viele Leute - kein Wunder, schließlich war gerade eben die Mittagszeit angebrochen. Die meisten Soldaten hatten Pause und machten sich auf den Weg in die Kantine, um zu essen.

Also zog er Louis vorsichtig mit sich, in eine ruhigere Ecke, in der sie ungestört sprechen konnten.

„Was ist passiert?", wollte er alarmiert wissen. „Geht es ihm nicht gut?"

Louis winkte ab. „Doch, natürlich", sagte er. „Zumindest den Umständen entsprechend. Aber..."

„Aber?"

Louis stieß ein tiefes Seufzen aus und sah Niall verzweifelt in die Augen. „Ich habe einfach das Gefühl, gar nicht mehr an ihn ranzukommen."

Niall legte grübelnd seine Stirn in Falten. „Inwiefern?"

„Dieser Unfall", erklärte Louis. „Ich habe das Gefühl, er steht immer irgendwie zwischen uns."

Nun war Niall derjenige, der seufzte. „Ich weiß", gab er zurück. „Er kann sich einfach nicht eingestehen, dass er ein massives Problem hat."

„Weißt du", sagte er, während sie ein Stück über das Deck gingen und sich an dessen Rand in die Sonne setzten. „Wir haben so oft am Strand miteinander geübt. Unzählige Male. Seine Angst hat sich gebessert, wenn wir zusammen waren, zumindest hatte ich den Eindruck. Aber er scheint all die positiven Erfahrungen zu vergessen, wenn er unter Leistungsdruck steht. Die Angst ist dann wieder genauso stark."

Niall antwortete nicht sofort.

Er blickte eine Weile auf das Meer hinaus und richtete seinen Blick schließlich auf sein Gegenüber. „Weil du ihm nicht helfen kannst, Louis", betonte er. „Harry braucht Hilfe, die du ihm nicht geben kannst. Seine Angst gehört in die Hände eines erfahrenen Militärarztes, der sich mit solchen Zuständen auskennt."

Der Satz bohrte sich in Louis' Brust wie ein scharfer Dolch.

War er wirklich zu naiv gewesen?

Hatte er sich wirklich zu viel von den gemeinsamen Schwimmübungen versprochen?

Aber Harry's Angst hatte sich doch gebessert, wenn sie miteinander geschwommen waren.

Immerhin hatte er es sogar geschafft, den Brand auf der USS Arizona zu löschen, indem er durch einen überschwemmten Lüftungsschacht getaucht war.

„Weißt du", fuhr Niall schließlich fort, als er bemerkte, dass er Louis mit seiner Aussage verletzt hatte. „Ich glaube wirklich, dass du Harry guttust und eine wichtige Stütze für ihn bist. Aber denkst du nicht, wir sollten ihn besser ermutigen, endlich zum Arzt zu gehen und Johnson zu gestehen, unter welcher Problematik er leidet?"

Einen Moment lang dachte Louis über Niall's Worte nach.

„Ja", sagte er schließlich. „Wahrscheinlich hast du Recht."

Ein Moment der Stille breitete sich zwischen den beiden Männern aus. „An dem Tag, an dem das passiert ist...", erzählte Niall schließlich. „Da deutete auch nichts darauf hin, dass die Übung in einer absoluten Katastrophe ändern würde - und das macht auch mir Angst, um ehrlich zu sein."

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