Am nächsten Tag hatten Harry und Louis sich zu einer neuerlichen Schwimmübung am Strand verabredet.
Harry allerdings konnte sich an diesem Tag absolut nicht überwinden, wieder ins Wasser zu steigen.
An diesem Tag gewann seine Angst.
Louis sah seinen Freund genau an. Jetzt, wo er wusste, was passiert war, konnte er ihn viel besser verstehen.
„Harry...", begann er also vorsichtig. „Was ist damals eigentlich passiert?"
Harry kniff die Augen zusammen und sah seinen Freund irritiert an. „Was meinst du?"
Natürlich wusste er nur allzu gut, wovon Louis sprach. Aber er wollte sich mehr Zeit verschaffen, um über eine passende Antwort nachdenken zu können.
„An dem Tag des Unfalls", antwortete Louis also behutsam. „Was ist genau passiert?"
Harry verdrehte die Augen.
Er hatte kein Bedürfnis darüber zu sprechen. Hätte er das gehabt, wäre er von selbst auf ihn zugekommen.
„Ich bin in's Wasser gefallen", antwortete er. „Das weißt du doch."
Louis zuckte die Schultern. „Weißt du, ich würde einfach gerne mehr über diesen Tag wissen."
„Ich bin bei einer Routineübung von Bord gegangen", erzählte Harry und wich Louis' Blick aus. „Da gibt es nichts zu erzählen, was du nicht schon wüsstest."
„Und wie kam es dazu?"
Ungeduldig verschränkte Harry die Arme vor der Brust. „Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern", gab er zur Antwort, und Louis bemerkte, wie er dicht machte. „Es war eine einfache Routineübung, nichts Besonderes. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Sergeant Johnson meinte, solche Dinge passieren hin und wieder."
Irritiert zog Louis die Augenbrauen zusammen.
Irgendetwas stimmte nicht.
Es gab Unstimmigkeiten zwischen Niall's Bericht und dem, was Harry ihm gerade erzählte.
Niall hatte ihm gesagt, dass er infolge eines gefährlichen, von Johnson angeordneten Übungsmanövers verunglückte.
Seufzend ließ Harry die Schultern hängen. „Warum beschäftigt dich das Thema denn plötzlich so sehr?"
„Weil ich dir helfen möchte", kam es prompt zurück. „Aber das kann ich nur, wenn ich weiß, wer du überhaupt bist."
Aufgebracht schnappte Harry nach Luft. „Wer ich bin?", wiederholte er empört. „Aber du weißt doch, wer ich bin..."
Louis seufzte und versuchte, nicht zu enttäuscht zu klingen. „Ich habe das Gefühl, dass du mir noch nicht alles erzählt hast..."
Harry fühlte sich unter Druck gesetzt. „Weil ich mich nicht mehr erinnere, Louis."
Weshalb konnte er nicht einfach akzeptieren, dass er nicht darüber reden wollte?
Als Louis erkannte, dass Harry nicht log, sondern er sich tatsächlich nicht mehr an den Unfallhergang erinnern konnte, wurde ihm ganz flau im Magen.
Er beschloss, seinem Freund vorerst nichts von seinen Bedenken zu erzählen.
Also lenkte er ein. „Es tut mir leid", sagte er und griff sanft nach seiner Hand. „Du weißt, ich meine das nicht böse. Ich will dir doch nur helfen."
Harry verdrehte erneut die Augen. „Ich kann mir selbst helfen."
Louis atmete tief durch.
Das Thema war ein Pulverfass.
Ein falsches Wort und Harry würde in die Luft gehen.
Ohne Vorwarnung.
Von einer Sekunde auf die nächste.
„Was stört dich denn daran, einfach mal zum Schiffsarzt zu gehen?", schlug er also vorsichtig vor. „Niemand wird dich deshalb rauswerfen."
Harry spannte sich an, und der Zorn in seiner Stimme war deutlich hörbar. „Willst du mich jetzt weiterhin belehren, oder können wir uns einfach einen schönen Abend machen?"
„Harry..."
„Ich möchte nicht darüber reden, okay?", fauchte er. „Was genau verstehst du denn daran nicht? Nein heißt Nein. Das gilt auch für dich."
Mit diesen Worten stand der junge Soldat auf und machte sich schnellen Schrittes auf den Rückweg zur USS Arizona.
Louis blieb verwirrt zurück und fuhr sich mit beiden Händen über das erhitzte Gesicht.
Er hatte keine Ahnung, was er noch tun sollte.
Harry ließ niemanden an sich heran, zumindest nicht, was dieses Thema anging.
Dabei bemerkte er gar nicht, wie sehr er sich selbst und andere gefährdete, indem er seine Angst nicht behandeln ließ.
Das war nicht gerade ungefährlich, und im Ernstfall sogar lebensbedrohlich.
Allerdings war ihm sehr wohl bewusst, dass er mit Druck nicht viel erreichen würde.
Das hatte er eben klar und deutlich zu spüren bekommen.
Aber er war ratlos.
So schrecklich ratlos.
Und das war das Schlimmste an der ganzen Sache.
Harry so sehr leiden zu sehen, ohne auch nur ansatzweise etwas dagegen tun zu können.
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Einen schönen Sonntag meine Lieben.🤍
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.🤍All the love, Helena xx
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Pearl Harbor
FanficIn den schicksalhaften Tagen des Jahres 1941, während sich die Welt inmitten von Spannungen und Unsicherheit befindet, entfaltet sich in Pearl Harbor eine Geschichte von Mut, Liebe und Vertrauen. Louis wird neu in Pearl Harbor stationiert und lernt...