11. Auf eine andere Art

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Während ihres gemeinsamen Wachdienstes schüttete Niall seinem besten Freund das Herz aus. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich die beiden vermisse", klagte er und seufzte, während sie das Deck der USS Arizona abgingen.

„Das kann ich mir vorstellen", antwortete Harry und sah seinen Freund mitleidig an. „Wann hat sie denn das letzte Mal von sich hören lassen?"

Niall dachte einen Moment lang nach. „Letzte Woche", sagte er also. „Wir versuchen, uns jede Woche einen Brief zu schreiben. Aber das ist nicht das Gleiche."

Harry nickte. Es musste schwierig sein, so lange von seiner Familie getrennt zu sein.

„Weißt du", fuhr Niall fort, „Mary schickt mir mit jedem Brief ein Foto von Oliver. Ich sehe, dass er gewachsen ist, und sie schreibt, wie er sich entwickelt und welche Fortschritte er macht. Aber ich kann es nicht sehen, verstehst du? Ich kann nicht dabei sein."

Harry schluckte.

Er konnte seinen Freund verstehen, und doch wusste er, dass er ihm nicht wirklich weiterhelfen konnte.

„Du wirst sie sicher bald wiedersehen", tröstete er und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir werden nicht ewig hier bleiben müssen."

Niall seufzte tief auf. „Das kannst du nicht wissen", gab er zurück, „Schon gar nicht bei der ungewissen politischen Lage."

Harry musste Niall Recht geben.

Diese Situation konnte ihnen jeden Moment gewaltig um die Ohren fliegen.

„Manchmal habe ich Angst, dass er mich vergisst", gestand Niall leise, und sie blieben einen Moment lang stehen und lehnten sich gegen die Reling. „Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, da hat er gerade Laufen gelernt. Mittlerweile kann er ganze Sätze sprechen."

Harry seufzte und beobachtete das dunkle Wasser, wie es sanft gegen das Schiff schwappte. „Er wird dich doch nicht vergessen", beteuerte Harry. „Mach dir darüber keine Gedanken."

„Denkst du, Mary kann auf mich warten?"

Harry's Kopf schnellte blitzschnell in die Richtung seines Freundes. „Was?", gab er irritiert von sich, „Natürlich kann sie auf dich warten, was ist das für eine Frage?"

Niall zuckte die Schultern. „Ich bin jetzt schon so lange weg, und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht", erklärte er, „Wer weiß, ob sie in der Zwischenzeit nicht einsam wird..."

„Auf gar keinen Fall", schnitt Harry ihm das Wort ab. „Das glaubst du doch selbst nicht. Ich bitte dich, Niall."

Harry, der Niall's Frau schon immer gemocht hatte, konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie zu denjenigen gehörte, die ihre Männer betrogen und hinter ihrem Rücken eine Affäre führten, während sie im Krieg waren - oder zumindest nahe dran.

Ganz abgesehen davon, dass das abartig war, ließen sich anständige Leute auf eine solche Liebelei erst gar nicht ein.

Und Mary war anständig.

Sie war mehr als das.

Sie liebte Niall mit allem, was sie hatte, und Harry hätte keine Sekunde lang daran geglaubt, dass sie sich mit einem anderen Mann treffen könnte. Ganz egal, wie lang Niall am anderen Ende des Landes stationiert sein würde.

„Komm schon", sagte er also, „Wie kommst du denn auf solche seltsamen Ideen?"

Niall zuckte entmutigt die Schultern. „Ich weiß es nicht", antwortete er, „Ich kann mir nur einfach nicht vorstellen, dass jemand so unglaublich lange allein sein kann..."

Noch ehe Harry weiter nachfragen konnte, wechselte Niall das Thema. „Was ist eigentlich los mit dir?", wollte er von ihm wissen, „Mir ist aufgefallen, dass du sehr viel Zeit mit Louis verbringst."

Harry zwinkerte. „Eifersüchtig?"

„Quatsch", winkte Niall ab, „Ich mache mir nur Gedanken. Helfen dir die Schwimmübungen, die ihr gemeinsam macht?"

Harry sah sich einen Moment lang um, um sicherzustellen, dass sie niemand hören konnte.

Aber wer sollte sie auch hören, mitten in der Nacht?

„Ich denke schon", gab er schließlich zur Antwort. „Zumindest ist es nicht mehr so schlimm wie am Anfang."

Niall lächelte. „Das sind doch gute Nachrichten. Du scheinst ihn sehr zu mögen."

Harry nickte. „Ja", stimmte er zu. „Nur auf eine andere Art..."

Irritiert zog Niall die Augenbrauen zusammen. „Wie meinst du das?"

Geschickt wich Harry dem Blick seines Freundes aus.

„Wir haben uns geküsst...", flüsterte er und konnte förmlich beobachten, wie Niall's Mimik ihm entglitt.

Er sah seinen Freund mit weit aufgerissenen Augen an. „Du hast was?", hakte er nach, „Hast du sie noch alle? Weißt du eigentlich, was dir blüht, wenn diese Information in falsche Hände gerät?"

Harry nickte. „Ja, ich weiß..."

Niall schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst, veredammt."

Eine fuhr sich mit beiden Händen über die geröteten Wangen. „Ich glaube, ich liebe ihn."

Erneut schüttelte Niall entschieden den Kopf. „Harry, das geht nicht", wiederholte er. „Das ist falsch, man macht sowas einfach nicht."

Harry seufzte. Natürlich wusste er, dass Niall Recht hatte. Aber er konnte sich nicht dagegen wehren.

„Es fühlt sich so richtig an", erklärte er also, wissend, dass Niall ihm am liebsten den Kragen umgedreht hätte.

Nicht, weil er wütend war, sondern weil er sich Sorgen um ihn machte. „Weil du ihn magst, Harry", sagte er, „Als Freund. Das ist keine Liebe."

„Nein", antwortete Harry, „Ich liebe ihn auf eine andere Art und Weise, wie ich dich liebe."

Niall, der seinen Ohren kaum trauen konnte, verschränkte verwirrt die Arme vor der Brust. „Was ist der Unterschied?"

Einen Moment lang dachte Harry über die Antwort nach und sah Niall schließlich mit einem Blick an, den er so noch nie bei ihm gesehen hatte. „Das Kribbeln in der Magengegend."

Niall wand seinen Blick ab und verdrehte die Augen. „Vielleicht freust du dich einfach nur, ihn zu sehen."

Enttäuscht ließ Harry die Schultern hängen. „Niall", fuhr er fort, „Ich freue mich auch, dich zu sehen. Aber ich will dich nicht küssen, und nicht anfassen..."

„Erspar mir die Details", schnitt Niall ihm das Wort ab. „Pass einfach auf dich auf."
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Meine Lieben, Danke für's Lesen!🤍
Na, was sagt ihr zu dem Kapitel? Hat es euch gefallen? Was denkt ihr, wie es weitergeht?🤍
Ich freue mich auf eure Kommentare und Ideen!🤍

All the love,
Helena xx

Pearl HarborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt