o2. Es ist sehr idyllisch

139 37 5
                                    

Am nächsten Morgen wurden die Männer früh morgens geweckt, um den Tag zu beginnen.

Sie zogen sich schnellstmöglich an, eilten aus den Mannschaftsunterkünften und nahmen am Morgenappell teil, bei dem die Anwesenheit überprüft und wichtige Ankündigungen gemacht wurden.

Sergeant Johnson, ihr Vorgesetzter, stand vor ihrer Einheit und ging mit kontrollierter Körperhaltung von links nach rechts.

Harry konnte ihn gut leiden. Er war schwer in Ordnung, und vor allem konnte man sich immer auf ihn verlassen.

Das graue Haar hatte er streng zurück gekämmt, und die blauen Augen stachen auffällig aus seinem Gesicht hervor.

Er stellte Louis der Gruppe vor, informierte die Soldaten über die derzeitigen Wetterbedingungen im Hafen und verkündete, den Dienstplan für die nächste Woche auszuhängen.

Dann machte er eine Ankündigung, die Harry das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Am Nachmittag wird am Strand eine Schwimmübung stattfinden", sagte er und blickte ernst in die Runde. „Die Einzelheiten gebe ich Ihnen dann vor Ort. Ich erwarte Sie in Topform."

Louis fiel sofort der Blick auf, den Niall mit Harry austauschte.

Und die plötzliche Blässe in Harry's Gesicht.

Dem jungen Soldaten war in der Tat ziemlich mulmig.

Es sollte die erste Schwimmübung nach seinem Unfall werden, und eigentlich hatte er gehofft, dass dieser Tag nie kommen würde.

Lächerlich, natürlich. Er war bei der Marine.

Nachdem die Männer vormittags also ihren Wachdienst geleistet hatten, um die Sicherheit des Schiffes zu gewährleisten, nahm die Besatzung eine weitere Mahlzeit an.

Harry war unendlich froh, es endlich bis zur Mittagspause geschafft zu haben.

Der Vormittag hatte sich ziemlich in die Länge gezogen, und er konnte an nichts anderes mehr denken, als diese verfluchte Schwimmübung.

Seine Hände waren klamm, er fühlte eine alarmierende Enge in seiner Brust.

Als Niall das bemerkte, legte er sanft eine Hand auf die seines Freundes. „Komm schon, Harry", flüsterte er, „Du schaffst das. Du weißt, dass du ein guter Schwimmer bist. Lass dich von deiner Angst nicht täuschen."

Harry seufzte und beobachtete, wie Louis sich an ihrem Tisch niederließ. „Alles in Ordnung?", wollte er wissen, als er Harry's betretenen Gesichtsausdruck sah.

Dieser nickte nur, bekam allerdings kaum einen Bissen von seinem Mittagessen herunter.

Einige Sekunden später stieß auch Liam, ein guter Bekannter von Niall und Harry, zu der kleinen Gruppe. „Ist das ein Stress heute", beschwerte er sich und verdrehte die Augen. „Hoffentlich werden die nächsten Tage etwas ruhiger."

Niall grinste. „Ganz bestimmt nicht."

„Ich hätte mir Pearl Harbor wirklich nie so wunderschön vorgestellt", sagte Louis und ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Die ganze Kulisse wirkt wie aus einem Traum. Die Palmen, das blaue Wasser, dieser wunderschöne Strand..."

„Das stimmt", pflichtete Niall ihm bei und nahm einen Schluck Wasser. „Es ist sehr idyllisch."

Louis nickte. „Das Paradies könnte nicht schöner sein."

Harry verfolgte das Gespräch der beiden Männer, aber seine Kehle schien, als hätte sie ihm jemand zugeschnürt.

Aber sie hatten Recht – Pearl Harbor war ein malerischer, friedlicher Hafen auf der Insel O'ahu in Hawaii.

Das türkisfarbene Wasser, die Palmen, der klare, blaue Himmel.

Die ruhige Atmosphäre wurde von Segelschiffen und Marinebotten unterstrichen, die auf dem Wasser glitten, während die Wellen sanft ans Ufer rollten.

Die Menschen vor Ort genossen das entspannte Inselleben, das von einer harmonischen Kultur geprägt war. Es war ein Ort, der Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte.

Noch.

„Ich möchte nicht mit den Europäern tauschen", warf Louis ein und steckte sich seine Gabel in den Mund.

Niall nickte. „Es ist einfach schrecklich", kommentierte er. „Seit Hitler 1939 in Polen einmarschiert ist, scheint er irgendwie größenwahnsinnig geworden zu sein."

Harry verdrehte die Augen. „Das war er schon vorher", antwortete er. „Sowas kommt doch nicht von heute auf morgen."

„Mir machen die Japaner und ihre aggressiven Aktionen in China mehr Sorgen", warf Liam ein und seufzte. „Ich glaube, früher oder später werden auch wir in einen größeren Konflikt verwickelt werden."

Harry zog die Augenbrauen zusammen. „Meinst du?"

„Wir haben bereits Armee, Luftwaffe und Marine ausgebaut", gab Niall ihm zur Antwort. „Es wurde in modernere Waffen und Ausrüstung investiert, und allgemein gibt es viel mehr Militärübungen."

Harry seufzte. „Fühlt sich irgendwie an, als würden wir uns da nicht mehr lange raushalten können."

Niall zuckte die Schultern. „Im Grunde genommen weiß doch mittlerweile niemand mehr, was hier eigentlich vor sich geht."

„Du meinst, abgesehen davon, dass die Nazis in immer mehr Ländern einmarschieren?", gab Harry ironisch zurück und leerte sein Wasserglas. „Die Aggression, mit der in Europa vorgegangen wird, ist beängstigend."

„Ich hoffe, dass wir nicht in einen weiteren großen Krieg verwickelt werden", räumte Louis ein. „Aber es sieht nicht gut aus."

„Selbst wenn", ergriff Niall das Wort. „Niemand wird zuerst Pearl Harbor angreifen. Die Philippinen haben eine viel bessere strategische Lage."

Liam stieß ein tiefes Seufzen aus. „Das ändert nichts daran, dass wir früher oder später wieder Teil eines Krieges sein werden, den wir nicht angefangen haben."

Ein schmerzhaftes Ziehen machte sich in Harry's Magengegend breit.

Er wollte sich mit diesen Themen nicht auseinandersetzen. Die Zukunft bereitete ihm Sorgen, große Sorgen – und niemand konnte den jungen Männern die Gewissheit geben, dass alles gut werden würde, denn die Lage war ernst.

Und dann stand in weniger als einer Stunde auch noch diese verdammte Schwimmübung an.

Harry hätte am liebsten laut losgeschrien.

Und doch wusste er ganz genau, dass auch das absolut gar nichts gebracht hätte.

Pearl HarborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt