43. Nie wieder vergessen können

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Unterdessen versuchten auch Niall und Liam irgendwie ihren Weg zum Strand zu finden.

Diese Aufgabe erwies sich allerdings als sehr schwierig.

Auf die Wasseroberfläche hatte sich ein tödlicher Ölfilm gelegt, der sie brennen ließ, als wäre sie aus Holz.

Niall hatte mittlerweile viel Blut verloren, doch das Adrenalin in seinem Körper sorgte zuverlässig dafür, dass er die Schmerzen kaum spürte.

Auch die Übelkeit drängte er unbewusst zur Seite.

Er hatte keine Zeit für Schwäche.

Jeder Moment der Schwäche konnte seinen Tod bedeuten.

Die Explosion hatte Liam und ihn von Bord geschleudert.

Sie waren irgendwo in der brennenden Hölle gelandet, die an diesem Sonntagmorgen über Pearl Harbor hereingebrochen war.

Die beiden Männer waren schwer verbrannt.

Ihre Haut schälte sich, anstelle von Haaren und Augenbrauen standen in ihren Gesichtern die bloßen Schmerzen, die sie hatten erleiden müssen.

Sie hatten einander nur an ihren Stimmen erkennen können.

Niemand sah mehr aus wie zuvor.

Die Männer glichen etwas Unmenschlichem; genauso unmenschlich wie der heimtückische Überraschungsangriff auf Pearl Harbor war.

Wie durch ein Wunder hatten Niall und Liam es irgendwann an den Strand geschafft.

Sie waren den Kugeln der Japaner entkommen, doch Niall konnte sich plötzlich kaum noch auf den Beinen halten.

Erst jetzt spürte er das Brennen, das das Salzwasser in seiner Schusswunde hinterlassen hatte.

Liam stützte seinen Freund und strich ihm behutsam eine Haarsträhne aus der Stirn, als die japanischen Flugzeuge langsam vom Himmel verschwanden.

Niemand von den Männern wusste, dass es in kurzer Zeit eine zweite Angriffswelle geben würde.

Die Ruhe trug.

„Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen", sagte Liam zu Niall, der sich jetzt, als sie den Strand erreicht hatten, plötzlich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

Währenddessen wurde Harry mit Hilfe eines Seils an Bord der USS Vestal gezogen.

Seine Handinnenflächen schmerzten, aber all das schien an Bedeutung zu verlieren, als er in Louis' erleichtertes Gesicht blickte.

Er sah die Tränen in dessen Augen und fiel ihm in den Arm.

Noch nie hatte Louis ihn so fest an sich gedrückt, wie in diesem Moment.

Harry weinte, und er schluchzte, während sein Gehirn versuchte, die Ereignisse zu begreifen.

Was er allerdings begriff war, dass es reines Glück war, das sie einander in diesem Moment, in dem andere ihr Leben lassen mussten, in den Armen halten konnten.

„Ich dachte, du wärst tot", schluchzte Louis und drückte Harry noch fester an sich.

Er wollte ihn gar nicht mehr los lassen, ihn am liebsten beschützen, vor allem und jedem, der ihm Schaden hätte zufügen können.

Doch das ging natürlich nicht.

„Jetzt kommt schon!", riss sie ein aufgebrachter Matrose der USS Vestal aus ihren Gedanken. „Es gibt einen Haufen schwer Verletzte, denen geholfen werden muss."

Harry nickte ihm zu, und während die japanischen Flugzeuge langsam abzogen, überkam auch ihn dieses trügerische Gefühl der Erleichterung.

Denn auch er wusste noch nicht, dass sie innerhalb kürzester Zeit für eine zweite Angriffswelle zurückkommen würden.

Sie zogen Männer aus dem Wasser, die so schwer verbrannt waren, dass sie ebenfalls weder Haare noch Augenbrauen besaßen und deshalb kaum identifizierbar waren.

Sie konnten nicht mehr sprechen, sie konnten ihnen noch nicht einmal mehr ihren eigenen Namen nennen.

Harry wurde in diesem Moment sofort klar, dass er diese Bilder nie wieder würde vergessen können.

Er wusste, sie würden ihn verfolgen.

Bis an den Rest seines Lebens, und vielleicht sogar darüber hinaus.

Außerdem konnte er nicht aufhören, an Niall und Liam zu denken.

Er hatte keine Ahnung, wo seine Freunde sich aufhielten und ob es ihnen gut ging - geschweige denn, ob sie überhaupt noch lebten.

Er befürchtete das Schlimmste, während er unter all den schwer Verletzten gar nicht wusste, wo er anfangen sollte, zu helfen.

Er konnte nur hoffen, dass bei beiden alles in Ordnung war.

Ein Blick hinüber zur USS Arizona zeigte ihm, dass sie innerhalb von Minuten gesunken war.

Sie brannte noch immer - und würde das für drei weitere Tage tun.
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Einen schönen Donnerstagabend meine Lieben!♥️
Ich bin noch nicht zum Beantworten eurer Kommentare gekommen, aber das mache ich spätestens morgen. Versprochen!♥️

All the love,
Helena xx

Pearl HarborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt