Triggerinhalt - dieses Kapitel enthält einen sexuellen Übergriff. Wer so etwas nicht lesen kann, sollte das Ende des Kapitels überspringen!
01.04.1821
Harwich„Wir sind stark, wenn wir zusammenhalten:
die Starken und Schwachen, die Jungen und Alten."
~ Kurt TucholskyAnne Bonny
Sie starrte die dunkle Silhouette des Mannes auf dem anderen Steg an. Seine Begleiter interessierten sie gar nicht.
Als auch er ihr den Kopf zuwandte, schluckte sie.
Was für einen erbärmlichen Anblick sie doch abgeben musste. Die Kleidung völlig durchnässt vom noch immer herrschenden Regen. Die schwarzen Locken, die ihr überall im Gesicht klebten und ihre Augen, die verrieten wie sehr sie durch den Wind war.Eine gute Minute verstrich, in der sie den Fremden stumm musterte. Dann wurde ihr dieses Blickduell doch zu unheimlich.
Sie schlang die Arme noch etwas enger um den Oberkörper.
Verflucht, wann war es so kalt geworden?
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie zitterte. Ihre Finger waren so eisig, dass es wehtat, wenn sie diese bewegte.
Ihr wurde bewusst, dass sie zurück ins Gasthaus kehren sollte, wenn sie hier draußen nicht elendig erfrieren wollte.So drehte sie der Silhouette den Rücken zu, lief schnellen Schrittes am Pier entlang und verschwand hinter der nächsten Ecke. Dort stutze sie. Auf welchem Weg war sie noch gleich zum Hafen gelangt?
Sie fasste sich ans nasse Haar, presste sich an eine der Hausfassaden, um sich zumindest etwas von dem unbarmherzigen Himmelswasser zu schützen.
Panik machte sich in ihrer Brust breit. Wie dumm war sie gewesen blindlings durch Harwich zu stürmen, ohne sich Anhaltspunkte zu merken?
Durchatmen.
Sie würde schon wieder zurück gelangen. Samuel suchte zudem auch sicherlich schon nach ihr. Mit etwas Glück hatte er ihren verträumten Blick bemerkt, den sie auf den Ozean geworfen hatte als er zu ihr ins Zimmer gestoßen war.Anne spielte mit dem Gedanken an Ort und Stelle auszuharren, rügte sich aber nur eine Sekunde später dafür. Wollte sie nicht allein zurechtkommen? Dann sollte sie sich nicht immer auf die Hilfe anderer verlassen.
Also nahm sie die Beine in die Hand und huschte die nächste Gasse entlang. Sie bog um die nächste Ecke, dann um noch eine. Aber das Gasthaus tauchte nicht in ihrem Sichtfeld auf.
Sich eingestehend, dass es zwecklos und Harwich wie der reinste Irrgarten war, suchte sie unter einem Vordach Schutz.Auf der gegenüberliegenden Straßenseite legten sich sogleich einige neugierige Blicke männlicher Zeitgenossen auf sie.
Sie konnte den Gestank von Alkohol riechen, der die gesamte Straße einzunehmen schien. Musik drang von dem Gebäude nach draußen.
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Dust and Water
Historical FictionWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...