21. Oktober 1821
Bombay„Gehe in ein Bordell und lerne, dass zwischen teurem und billigem Vergnügen kein Unterschied ist."
~ Diogenes von SinopeAnne Bonny
Der seltsam süßlich, zeitgleich würzige Geruch von Räucherstäbchen umhüllte sie und sorgte für eine neue Welle der Übelkeit. Vielleicht war der vorrangige Grund für ihren flauen Magen aber auch die noch immer ausbleibende Monatsblutung.
Bei dem Gedanken daran, bald schon einen zweiten Herzschlag in ihrem Leib spüren zu können, wurden ihre Hände so schwitzig, dass ihr das golden bemalte Trinkgefäß aus Ton beinahe entglitten wäre.
Bevor es doch noch klirrend auf dem Boden zerschellen konnte, stellte sie es lieber auf dem Tischchen ab, auf dessen anderer Seite Winston und Theodore saßen.Die beiden unterhielten sich lautstark miteinander.
Anne versuchte sich in der Hoffnung ihre finsteren Gedanken dadurch verdrängen zu können auf das Gespräch zwischen ihren Freunden zu konzentrieren.Ungeniert deutete der Lange mit dem Zeigefinger geradewegs auf zwei Freudenmädchen, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe auf einem roten Perserteppich räkelten. Hauchdünne Stoffe verhüllten die schlanken Körper, Schleier der gleichen Farbe den Großteil ihrer Gesichter. Rot und orange.
„Eine von denen wird dir heute Nacht das Bett wärmen, mein Freund. Siehst du, wie sie mit uns spielen? Mit ihren Blicken?", lallte Winston, der mehr vom indischen Rum getrunken hatte, als es gut für ihn war.Theodore sank tiefer in der gepolsterten Sitzfläche zurück. Unsicher fuhr sein Daumen den Rand seines Bechers entlang. „Ich ... Bist du dir sicher?" Noch immer war es ungewohnt, ihn in diesem tiefen Bariton sprechen zu hören. Während ihrer Reise nach Bombay war er doch tatsächlich in den Stimmbruch gekommen und laut Winstons Grundsätzen fehlte nun lediglich noch eine Nacht, die er im Schoße einer Frau verbrachte, damit er zum richtigen Mann wurde.
Selbst Anne erkannte, dass die beiden Schönheiten es auf ihre Begleiter abgesehen hatten. Bevor Winston etwas erwidern konnte, waren sie auch schon aufgestanden und näherten sich dem Tisch.
Anne nahm ihren Rum doch wieder in die Hände, um allein durch ihre Körperhaltung zu signalisieren, dass sie kein Interesse hegte.
Die Mädchen würdigten sie allerdings ohnehin keines Blickes. Zu Winstons Überraschung, galt ihre Aufmerksamkeit aber auch nicht ihm. Beide begannen kichernd um Theodore herumzutänzeln.
Die Kleinere griff ihm ohne zu zögern in sein Haar. Wieder wurde gekichert.Der Dickliche lief rot an. Noch mehr Schweißperlen begannen sich auf seiner bereits feuchten Stirn zu bilden.
„Ich ... ich ...", stotterte er, wurde aber jäh von einem Finger unterbrochen, der sich an seine Lippen legte.Anne schmunzelte, als sie Winstons Neid bemerkte, der wie ein Leuchtfeuer hinter dem Braun seiner Augen funkelte. „Meine Damen, mein Freund ist schon überfordert mit einer von euch, aber hier ist noch ein Platz frei." Auffordernd klopfte er sich dabei auf seine Schenkel, doch Theodore blieb weiterhin ihr Fokus.
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Dust and Water
Narrativa StoricaWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...