30. Dezember 1821
Atlantik, Nähe Küste von Teneriffa„Heimat entsteht in der Fremde."
~ Walter LudinAnne Bonny
Sobald sie an Deck trat, wurde Anne sich des dunkel bewölkten Himmels gewahr. Die Wolkendecke war zugezogen, das Unwetter würde mit Gewissheit nicht mehr lange auf sich warten lassen.Und so wie die ersten Regentropfen zögerten zu fallen, so zögerte auch Anne und sie verfluchte sich dafür.
Ihr Blick glitt über das Deck, unbewusst auf der Suche nach einer ganz bestimmten Person.Die Männer gingen ihrer Arbeit nach, als wäre nie etwas gewesen. Als hätten sie vor gut einer Stunde nicht Lebewohl zu fünfzehn ihrer Kameraden gesagt. In dem Wissen, dass Teneriffa ihr Grab werden würde.
Lieder wurden gesungen, Lachen und Scherereien drangen an Annes Ohr, während sie die Searose auf den aufziehenden Sturm vorbereiteten.Der Wind heulte, zerrte an Annes Haaren. Sie schluckte gegen ihre Nervosität an, doch es ließ das kribbelnde Gefühl, das sich in ihrem gesamten Körper festgeheftet hatte, nicht verschwinden.
Und als sie Jack schließlich entdeckte, wurden ihre Beine so schwer, dass sie dachte, sie würde sich niemals mehr von diesem Fleck wegbewegen können. Er stand bei Blackwood, Winston, Piet und Desna, führte eine Unterredung mit ihnen. Vermutlich ging es um Theos alten Posten, den nun jemand anderes übernehmen musste.Er war ein guter Käpt'n, ein ausgezeichneter Liebhaber und ein herzensguter Mann.
Wie würde er reagieren, wenn sie gleich auf das Hüttendeck stieg und ihr Vorhaben in die Tat umsetzte? Was würden die Männer der Searose fordern? Würde es ihnen genügen sie über die Planke ins Meer zu schicken, oder blühte ihr schlimmeres für das Geheimnis, das sie beinahe acht Monate lang für sich behalten hatte?Die ersten Regentropfen lösten sich von den Wolken. Sie waren schwer und groß.
Anne beobachtete Winston dabei, wie er sich durch das kurze Haar fuhr. Dann Piet, wie er in sich gekehrt die Spitzen seiner Stiefel musterte. Blackwood, dessen Aufmerksamkeit ausschließlich Jack galt. Desna, deren Blick unauffällig über die Besatzung schweifte, vermutlich auf der Suche nach ihrem Bruder.
Jaspal. Würde es ihm gelingen Samuel so lange in Schach zu halten, wie es nötig war, damit er nicht nach oben gestürzt kam, um ihren Plan zu durchkreuzen? Was war nur aus ihrem Freund geworden? Sie ignorierte das schmerzvolle Pochen der seelischen Pein in ihrer Brust und sah hinauf zum Hüttendeck.
Dort oben stand nur Jonah. Einsam und verlassen hielt er das Steuerrad in den Händen und hielt die Searose auf dem richtigen Kurs, bereit sie durch meterhohe Wellen und einen tobenden Wind zu manövrieren.
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Dust and Water
Ficción históricaWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...