02. April 1821
Harwich„Ohne Besatzung ist weder der Turm noch das Schiff etwas wert."
- SophoklesJack Calico
Jack ließ seinen Blick durch den offenen Raum schweifen. Das Zimmer sah kaum noch nach der einladenden Freizügigkeit und Verruchtheit aus, die es noch gestern Abend beherbergt hatte. Die bequemen, mit rotem Samt bezogenen Sofas und weichen Kissen waren an die Wand geschoben, das helle Licht des Tages drang durch die offenen Vorhänge hinein.
Es glich mehr dem Schankraum einer Taverne. Einer Taverne, in der die Bedienungen sich überaus freizügig und anhänglich präsentierten, mit gerafften Röcken und tiefen Ausschnitten um die anwesenden Männer herum schlichen, aber dennoch.
Das Hauptinteresse lag heute klar an anderer Stelle."Bist du nervös, Käpt'n?", raunte Jonah an seiner Seite. Er bedachte eines der Mädchen, die soeben Tee und Sherry servierten mit einem liebevollen Lächeln, das sie verschwörerisch erwiderte.
"Sehe ich so aus?"
"Aye, das tust du. Du fummelst die ganze Zeit an deinem Halstuch herum und in der Tasse, auf der deine Finger die ganze Zeit herumtrommeln, befindet sich mehr Whisky als Kaffee."
Abrupt sah Jack auf seine Tasse und unterbrach das unbewusste, nervöse Tun seiner Hände, indem er einen Schluck daraus trank.
"Es ist nur so, dass jetzt Vane und Sully sich irgendwo in dieser Stadt das Maul über uns zerreißen", erklärte er leise. "Wenn sie sich über den Weg laufen und beschließen eine gemeinsame Hetzjagd auf uns zu veranstalten..." Er ließ seinen Satz unvollendet. "Was macht der Alte überhaupt hier? Es gibt hunderte andere Orte, an denen es sich angenehmer leben lässt, als ausgerechnet in Harwich!"
Jonah trat dicht an ihn heran und legte ihm vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter.
"Vane hat genauso wenig Interesse daran, einem Soldaten der Krone zu begegnen wie du, Jack. Und Sully wird den ganzen Tag brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Vor morgen werden wir wohl weder mit einer Einmischung des einen, noch des anderen zu rechnen haben."
Jack seufzte und ließ sich auf einen der Stühle sinken, die sie abseits hinter einem großen Schreibtisch am Rande des Raumes aufgestellt hatten. Seine Kaffeetasse klirrte, als er sie darauf abstellte.
"Wir müssen in den kommenden drei Tagen an die hundertzwanzig Männer anheuern, Jonah! Und die einzigen beiden Argumente, die ich habe, sind ein riesiges Biest von Schiff, das ich alleine nicht mehr aus diesem Hafen heraus steuern kann und ein paar Säcke voller Gold."
Jonahs Mundwinkel hoben sich zu einem seltenen Lächeln. Es sah fast so aus, als empfand sein Freund angesichts dieser aussichtslosen Zusammenfassung eine grimmige Schadenfreude.
"Dann hoffen wir, dass sich ein paar erfahrene Seeleute unter den Männern hier befinden. Mach ihnen Lust auf die See, auf Abenteuer und Reichtum, Jack."
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Dust and Water
Historical FictionWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...