13. Mai 1821
Atlantischer Ozean nahe England"Die Gnade der Unbeherrschtheit ist unendlich gering." - A. Michael Bussek
Jack Calico
"Ich frage ein letztes Mal Jack, wie zur verdammten, ewigen Hölle du mir das antun kannst?"
Jack tauchte unbeeindruckt von Bens Schimpftiraden die Klinge seines Rasiermessers in das inzwischen nur noch lauwarme Wasser und vollendete den letzten Streich an seiner Wange. Die aufgehende Sonne warf genügend Licht durch die achtern liegenden Fenster in seine Kajüte, dass er sich an diesem Morgen voller Sorgfalt und mit einem erfüllten Grinsen seinem Spiegelbild gewidmet hatte. Sein dunkles Haar hatte er mit einem Stück Lederband zu einem hoch sitzenden Zopf zusammengebunden, damit es ihm nicht störend ins Gesicht fiel. Die verschlossenen Türen ließen weder die Geräusche der Männer von außen zu ihnen hinein, noch den Hauch ihres Streits nach draußen an Deck schallen.
"Genau darum geht es doch Ben..." Er ließ seinen Satz unvollendet. In aller Ruhe wusch er sich die restliche Seife aus dem Gesicht und trocknete seine Haut mit einem Stück Stoff, ehe er das Ergebnis zufrieden im Spiegel betrachtete. Der kurze Bart an seinem Kinn und seinem Kiefer sah wieder gepflegt und ordentlich aus. Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob seine Eitelkeit in den letzten Tagen aufgrund einer bestimmten Person um ein Vielfaches gewachsen war. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit erneut auf Bens blonde Gestalt in seinem Rücken gelenkt, die ihn finster musterte. "Ich tue dir das nicht an. Sieh es als Chance, aye?"
Ben stieg die Röte unterdrückten Zorns ins Gesicht, als Jack sich ihm zuwandte. Er wollte nach seinem frischen Hemd greifen, um sich zu Ende anzukleiden, doch die Ratte trat ihm wütend in den Weg.
"Du bist der räudigste Käpt'n eines Schiffes, der jemals auf dieser Erde gewandelt ist, Jack. Jede Sekunde, in der ich die Fresse dieses Parker-Abschaums vor der Nase habe und mit ihm Essensreste aus den Kesseln schrubben muss, ist wie hundert Schläge ins Gesicht von dir!" Er atmete verdrossen aus. "Und dass du ihn jeden Abend an deine Seite holst, obwohl dieser Zeitraum mit dir eigentlich mir gehört... Willst du ihn etwa auf deinem Posten ausbilden?" Unglauben schlich sich in seine Worte. "Ein Küchenjunge als Ersatz, wenn du ausfällst? Das hat nichts mit einer Chance zu tun. Das ist was Persönliches zwischen dir und mir. Du nutzt deine Stellung aus und lässt mich bluten."
"Tue ich nicht, du kannst es nur nicht wahrhaben, dass du mit deinen Lügen auf die Fresse gefallen bist!", schlug Jack zurück. "Du hintergehst mich und missachtest meine Befehle für ein simples Stück Kuchen. Und mit jedem Wort, mit welchem du meine Entscheidung anzweifelst, verdienst du dir hundert weitere Stunden dazu!", knurrte er. "Du willst mein Vertrauen, deinen Posten und das Kommando über die Kapermannschaft zurück? Dann verdiene es dir, zum Henker und folge einmal in deinem Leben kommentarlos meinen Befehlen!"
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Dust and Water
Historical FictionWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...