Die Sonne glitzerte inzwischen verschwörerisch auf den seichten Wellen des Meeres, wärmte ihnen die Haut und das Holz der Planken, auf denen sie sich niedergelassen hatten. Der Wind war abgeflacht und ähnelte mehr einer seichten Brise, die ihm die dunklen Strähnen ins Gesicht wehte, welche sich während der Erzählung aus seinem ordentlich gebundenen Zopf gelöst hatten.
"Und für einen kurzen Augenblick in meinem Leben hatte ich alles. Aber es ist nicht möglich, Glück mit bloßen Fingern festzuhalten."
Er hielt seinen Blick auf seine Hände gerichtet, die er öffnete und wieder schloss, ehe er seine Aufmerksamkeit auf das anwesende Publikum richtete.
"So kam es, dass wir uns auf den langen und beschwerlichen Seeweg machten, um den Atlantik zu überqueren und unser Glück in Nassau zu suchen", begann er, wurde jedoch von einem genervten Seufzen Cherletons unterbrochen. Ein Grinsen hob Jacks Mundwinkel an.
"Manchmal bereue ich es doch, vielleicht hätte ich es ihm nicht derart unter die Nase reiben sollen", überlegte aut. "Der arme, blasse Quartiermeister hatte zu dem Zeitpunkt drei Tage Mast in der prallen Sonne vor sich. Andererseits musste irgendjemand ihm die Flausen aus dem Kopf treiben und wer sonst hätte das gewagt?" Er überlegte demonstrativ. "Keiner."
Seine Mannschaft lachte verhalten in seinem Rücken, doch ein Grummeln aus der Richtung des Besanmastes stach heraus. Mit einem Nicken seines Kopfes gab er Ben ein Zeichen und die Ratte erhob sich, schlenderte zu Cherleton hinüber, um ihn demonstrativ mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen.
"Du hältst deine Klappe, hast du verstanden?", zischte die Ratte.
Ein gekünsteltes Aua aus den Reihen des Publikums ließ Jack seine Aufmerksamkeit wieder auf die anwesenden Leser richten. Doch ehe er weitersprechen konnte, hatte Ben bereits die Blicke aller auf sich gezogen.
"Aua?", wiederholte die Ratte. "Aua? Ihr seid ein Haufen träger, nichtsnutziger Landratten! Hört auf dem Falschen eure Anerkennung zu zollen, sonst lassen wir euch zwei Wochen lang das Deck schrubben, ehe wir euch über die Planke jagen!", fluchte er ungehalten.
Jack fuhr ihm über den Mund.
"Halt die Klappe, Ben, sonst kannst du dich gleich neben Samuel fesseln lassen! Die Leute sind unsere Gäste und haben unseren Respekt verdient. Immerhin haben sie uns die ganze Zeit über bis zum Ende begleitet, waren stets an unserer Seite, im stärksten Sturm, genauso wie in der Schlacht von Ratnagiri."
"Aye, Käpt'n. Aber dieses Milchgesicht macht mich einfach richtig wütend!"
"Mich auch! Setz dich jetzt!"
Er fühlte, wie Anne ihre Hand auf seinen Unterarm legte und ihre Finger mit den seinen verflocht. Oh wie sehr hatte er sich diesen Anblick immerzu gewünscht. Ihre Hand halten zu dürfen. In der Öffentlichkeit. Unter den Augen aller. Ihre Stimme erhob sich, wob ein liebevolles Muster in den Wind."Wir wollen Danke sagen. Danke aus vollem Herzen. Cinthily , LLNQueenOfFantasy , iolas441 für all die lieben Kommentare und das öffentliche Mitfiebern. Kiki_1206 für die ganzen nützlichen Hinweise bezüglich Rassismus und wie wir diesen umgehen können. Tin_iii und Tina12079 für die ganzen Votes von Anfang an.
Aber wir wollen unseren Dank auch an an alle anderen richten, die fleißig kommentieren und voten und auch denen, die einfach still mitlesen und im Geheimen mit uns mitfiebern."Als sie geendet hatte, räusperte sich Jonah an seiner anderen Seite.
"Um euch eure Sorgen noch zu nehmen: Cherleton geschieht nichts ernsthaft Schlimmes: Die Meisten von uns verfügen über eine zertifizierte und abgeschlossene Stuntmanausbildung. Ihr könnt euch sicher sein, dass niemand ernstlich verletzt wurde oder Tiere zu Schaden kamen." Mit einem auffordernden Blick sah er Jack an.
"Aye, ich weiß." knurrte er. "Ich muss mich bei ein paar historischen Persönlichkeiten entschuldigen, deren Andenken in dieser Geschichte womöglich nicht ganz so ehrenvoll dargestellt wurden, wie es der Wahrheit angemessen wäre. Allem voran wäre da Charles Vane. Der Mann war wahrscheinlich gar kein so übler Typ. Wir haben viel hinzugedichtet, um unserer Geschichte an den Stellen Farbe zu verleihen, wo wir sie gerne haben wollten. Die Entscheidung am Anfang, die Galeone nicht zu kapern, hat ihn allerdings wirklich seinen Posten gekostet." Er machte eine Pause und grinste siegessicher. "Für den Fall, dass euch Anne Bonnys Geschichte genau so fasziniert wie mich, lohnt sich ein Blick in einschlägige Geschichtsbücher (oder Wikipedia) ganz sicher. Allerdings müsst ihr dann davon ausgehen, auf den ein oder anderen Spoiler zu stoßen."
Anne grinste, als sie weiter sprach.
"Genau das Gleiche gilt natürlich für die Geschichte Calico Jacks. Auch du entsprichst nicht ganz dem, was man bei einem Blick in die Vergangenheit über dich erfährt", schmunzelte sie ihn an. Er zuckte mit den Schultern."Tatsächlich lässt sich das wohl kaum im Detail rekonstruieren", gestand er. "Aber eine Sache ist dann doch gewiss: Ich war ein ziemlich charismatischer, gutaussehender und charmanter Käpt'n." Er grinste abermals. "Spaß beiseite! Die Tatsache, auf die es ankommt, ist folgende: Ich habe dich geliebt vom Grunde meines Herzens. Und dass es nur einen einzigen Mann braucht, der stark genug ist, um zur Seite zu treten, um einer benachteiligten Gruppe von Menschen die Tore zu öffnen, die die Sterne des Himmels ins Wanken bringen kann."
"Was ist das für eine kitschige Schwafelei, Käpt'n?" Bens Gesicht glich einer von Ekel verzerrten Maske. "Du maßt dir ja echt ne ganz schöne Rolle in dieser Geschichte hier an. Die Frau hat dich weich wie Butter in der Birne werden lassen." Er schüttelte den Kopf. "Frauen an Bord. Als würde es nicht reichen, dass wir einer alle unsere Schwänze gezeigt haben, die sich ernsthaft als Arzt ausgibt. Und als nächstes gehen diese Weiber in die Politik oder sowas absurdes. Verfassen Bücher oder studieren an Universitäten."
Jack musste leise lachen, registrierte allerdings, wie sich Annes Finger um seine krampften. Mit ernstem Gesichtsausdruck wandte sie sich ein letztes Mal an das Publikum, das tatsächlich vorherrschend aus Frauen bestand. Als sie sprach war ihre Stimme fest und entschlossen.
"Wie ihr seht, haben wir noch einen langen Weg vor uns."
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Dust and Water
Historical FictionWir schreiben das Jahr 1801, als in England die junge Anne Bonny als uneheliche Tochter eines Richters das Licht der Welt erblickt. Verstoßen und geächtet von der Stadtgemeinde, flieht sie als sie älter wird und lernt auf ihrer Reise Jack Calico ken...