Jayden 5 - Michelle

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Ich eilte durch den Wald. Die Welt um mich herum verschwamm. Tränen liefen über mein Gesicht. Ich konnte meine Mutter nicht verstehen. Ich suchte nach Rechtfertigungen oder Erklärungen. Ich wollte, dass das Sinn ergab. Sie musste zu mir halten, sie musste doch für mich einstehen. Aber so funktionierte meine Familie nicht.

Das wars jetzt gewesen. Ich würde nie wieder zurückgehen. Ich konnte das nicht begreifen. Erst hatte ich geglaubt die Unruhe losgeworden zu sein. Doch nachdem die Wut und der Hass von mir abgefallen waren, war sie zurückgekehrt. Noch heftiger als zuvor. Jetzt fraß mich die Unruhe wirklich auf. Sie tat meinem Herz weh, sie nahm mir die Luft zum atmen. Ich schluchzte laut und rang nach Luft. Ich rannte. Ich musste weg von hier. Ich musste etwas an meiner Situation ändern. Aber ich wusste nicht wie. Ich hatte alles verbockt. Ich hatte alles verkackt. Ich war ein hoffnungsloses Arschloch.

Ich weinte heftig und laut, als ich für einen Moment stehen blieb und mein Handy rausholte. Ich ging auf den Chat mit Michelle. Ich schrieb ihr und fragte, ob sie Zuhause sei. Michelle antwortete schnell, aber nicht so wie ich gehofft hatte.

„Verpiss dich!" Ich steckte das Handy beiseite und eilte weiter. Michelle wollte mich nicht sehen, das verstand ich. Aber sie musste mich sehen. Ich musste zu ihr. Sie war meine letzte Hoffnung. Wenn mich Janine hasste und meine Mutter, der Freund meiner Mutter, meine Schwester, dann gab es nur noch Michelle. Sie hasste mich auch, aber Michelle liebte mich noch mehr, als dass sie mich hasste.

Das wusste ich genau und das brauchte ich jetzt. Michelle musste mich in den Arm nehmen. Lange und fest. Sie musste mir sagen, dass alles gut werden würde, dass sie für mich da sei. Ich brauchte Michelle, jetzt, sofort und ich konnte keine Rücksicht mehr darauf nehmen, dass ich ihr damit wehtun würde. Ich hatte ihr nie wehtun wollen. Aber das tat ich nun mal. So war ich. Ich tat jedem weh. Würde mich Michelle wegschicken, dann wäre ich verloren.

Ich war zu aufgewühlt, um klar denken zu können. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Aber mein Körper brachte mich zu ihr. Sie musste mir vergeben!

Als ich vor ihrem Haus ankam, überrumpelten mich einige Erinnerungen. Vor allem aber die an ihren Vater. Er war ein Choleriker, der einen übertriebenen Beschützerinstinkt für seine Tochter hatte. Dass ich in seinen Augen nicht der Richtige für sie war, konnte ich nachvollziehen. Doch aus seiner Sicht, wäre kein Typ je gut genug für seine Tochter. Michelle hatte oft unter seiner herrischen Art gelitten. Manchmal sogar unsere Beziehung. Irgendwann hatte sie mich nur noch heimlich zu sich gelassen. Nachts, wenn ihre Eltern längst geschlafen hatten. Ich wusste also genau wie man unbemerkt in ihr Zimmer kam. Für den Fall, dass ihre Eltern mich nicht zu ihr lassen würden.

Das waren nicht die einzigen Erinnerungen.

Ich erinnerte mich an die gemeinsamen Nächte, in denen wir versucht hatten leise zu sein, damit ihr Vater uns nicht erwischte. Zwei Mal war es nicht gut ausgegangen. Er hatte mir ein blaues Auge verpasst. Nichts Dramatisches, das kannte ich von Zuhause.

Ich erinnerte mich an ihr Lachen und ihre direkte Art. Michelle sagte was sie dachte. Das hatte ich immer an ihr gemocht. Ich vermisste sie.

Michelle selbst hätte nie Schluss gemacht. Ich wusste, dass sie oft das Gegenteil erzählte. Sie stellte sich gerne als dieses selbstbewusste, unabhängige Mädchen dar, das erkannt hatte wie schlecht ich für sie war und die deshalb Abstand von mir genommen hatte. Sie wünschte sich innerlich, dass es so gewesen war. Aber in Wahrheit hatte sie nie richtig mit mir abgeschlossen. Ich auch nie mit ihr, aber das war egal. Ich hatte mich getrennt, weil ich wusste, dass ich ihr mit jedem Tag mehr wehtat, den wir gemeinsam verbrachten. Sich für Janine zu entscheiden, bedeutete, sich gegen jeden anderen zu entscheiden. Als ich diese Entscheidung damals getroffen hatte, waren mir die Konsequenzen nicht richtig bewusst gewesen. Genauso wenig wie jetzt. Ich wusste, dass ihr wehtun würde, wenn ich wieder vor ihr stehen und sie anbetteln würde, mich reinzulassen. Aber hatte ich eine andere Wahl?

Magische Träume (4. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt