Lian wusste selbst ganz genau was ich mit seinem Zustand gemeint hatte. Ich hatte es extra umschrieben, weil ich die offensichtlichen Dinge nicht so konkret aussprechen wollte.
„Komm schon, du weißt wovon ich rede", antwortete ich schwer seufzend. Aber Lian schüttelte nur wieder den Kopf und machte eine Mine, als hätte er keinen blassen Schimmer. Ich wollte es einfach nicht aussprechen. Lian hasste das Thema und ich fing auch an dieses Thema zu umgehen, weil es fast jedes Mal zu einem Konflikt zwischen uns führte. Aber ich machte mir die Mühe umsonst passende Umschreibungen zu finden, denn Lian würde nicht locker lassen und ich hatte den Moment längst verpasst, diese Diskussion enden zu lassen.
„Die Dinge,... mit denen du dich die letzten Wochen auseinandersetzen musstest,... ich denke einfach, dass Gras dabei keine gute Idee ist." In Lians Augen flammte Wut auf.
„Welche Dinge?" Er hasste es, wenn ich dieses Thema versuchte vorsichtig zu umschreiben. Aber mir fiel es schwer die harte Wahrheit einfach so auszusprechen. Wenn ich es tat, kam ich mir vor, als wäre ich ein empathieloses und gefühlskaltes Arschloch.
Lian trat einen Schritt an mich heran. Er sah mir auffordernd in die Augen. Es kam mir vor, als würde er versuchen mich zu provozieren. Während er immer wütender wurde, wurde ich ruhiger. Wahrscheinlich war seine Reaktion nur so etwas wie ein Schutzmechanismus, weil er merkte, dass ich Recht hatte. Das versuchte ich mir zumindest einzureden.
„Du weißt was ich meine. Du hast momentan viel womit du klarkommen musst. Und Gras wird dabei nicht hilfreich sein. Du musst anfangen dich damit richtig auseinanderzusetzen. Du kannst das nicht ständig verdrängen." Lian seufzte schwer, um sich davon abzuhalten, laut zu werden. Ich hatte das Gefühl, ich hatte diese Art von Sätzen schon an die tausend Mal gesagt.
„Okay?! Was soll ich deiner Meinung nach tun? Die nächsten Monate heulend im Bett liegen? Das kannst du vergessen." Ich presste die Lippen aufeinander, um mir ein mitleidiges Lächeln zu verkneifen. Obwohl er genau das vielleicht mal tun sollte, klang es leider auch sehr traurig. Es tat mir weh das zu hören und in mir baute sich das Bedürfnis auf, ihm mein Mitgefühl zu zeigen. Doch ich unterband es, denn in dieser Situation könnte Lian mit Mitgefühl rein gar nichts anfangen. Im Gegenteil, es würde ihn wahrscheinlich immer wütender machen.
„Das sollst du doch auch gar nicht machen. Ich will nur nicht, dass du... das Gras als Ausweg siehst, denn das ist es nicht." Ich verstummte einen Augenblick und sammelte meine Gedanken. Meine Stimme klang zittrig und ich war mir sicher, er bemerkte wie nervös mich dieses Gespräch machte.
„Ja, Gras kann mal lustig sein und mal entspannen. Aber Mal wird zu schnell zu... immer öfter. Gras geht doch auch voll auf die Psyche. Ich habe dazu neulich etwas gelesen. Das kann Psychosen auslösen und weil du gerade... na ja in der... Trauerphase bist, bist du dafür vielleicht besonders anfällig." Lian schwieg. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Es fiel mir verdammt schwer meine Gedanken so klar auszusprechen. Ich spürte wieder diese Blockade in meinem Hals, aber ich redete gegen sie an, damit sie mich nicht zum Schweigen zwingen konnte.
„Du hast deine Eltern und deinen Bruder verloren. Das ist... scheiße und das tut weh und... du musst das verarbeiten. Ich habe einfach Angst, dass du das Gras als eine Möglichkeit siehst, um das zu umgehen oder zu verdrängen und das... will ich vermeiden." Als die Worte meine Lippen verlassen hatten, löste sich ein schwerer Druck von meinen Schultern. Ich streckte mich und stand Lian nun weniger nervös gegenüber.
Der Druck, der von mir abgefallen war, schien auf ihn übergegangen zu sein. Lian verkrampfte sich und sein starrer Blick, der weit in den Wald hinein fiel, verriet mir, dass er innerlich mit etwas kämpfte. Meine Worte hatten ihn an etwas erinnert, was er er schon wieder versucht hatte zu verdrängen. Ich hatte ihn mit der Wahrheit konfrontiert und er hatte Schwierigkeiten damit umzugehen.

DU LIEST GERADE
Magische Träume (4. Teil)
Espiritual1. Teil: Zufall oder Magie? Während Sam und Lian daran arbeiten ihr Vertrauen zueinander wieder aufzubauen, müssen sich Beide ihren größten Herausforderungen stellen. Lian kann seine Vergangenheit nicht länger verdrängen und Sam muss sich ihrer Zuku...