„...und genau deswegen widmen wir uns jetzt dieser Frage. Also... was versteht ihr unter gut und was bedeutet für euch böse?", fragte Mrs. Marley, unsere Lehrerin für Philosophie. Lian und ich kannten sie schon aus unseren vorherigen Philosophiestunden und wir waren froh, dass wir auch dieses Mal einen Platz in ihrem Kurs bekommen hatten. Die kleine, kurzhaarige Frau schien zwar auf den ersten Blick streng zu sein, hatte sich aber als eine humorvolle und interessante Person herausgestellt. Sie gestaltete ihren Unterricht spannend und sie beherrschte die Kunst genau die Art von Fragen zu stellen, die einen noch mehr verwirrten und die einen gleichzeitig realisieren ließen, dass man noch gar nichts verstanden hatte.
„Gut sind die, die gute Taten vollbringen. Die die wollen, dass es anderen gut geht", sagte ein schwarzhaariges Mädchen, mit großen braunen Augen, das von Mrs. Marley drangenommen worden war.
„Was sind denn gute Taten?" Gemurmel breitete sich im Raum aus.
„Sachen die anderen guttun? Die positiv für die Allgemeinheit sind?", versuchte es die Sitznachbarin des schwarzhaarigen Mädchens.
„Hmm." Mrs. Marley machte eine Miene als würde sie über diesen Vorschlag nachdenken. Doch eigentlich hatte sie eine ganz bestimmte Vorstellung von der Antwort, die sie als nächstes hören wollte.
„Wenn ich einer alten Dame über die Straße helfe, ist das eine gute Tat", antwortete das schwarzhaarige Mädchen überzeugt.
„Ist das so?", fragte Mrs. Marley interessiert. Der Kurs schien sich einig zu sein. Alle nickten mit ihren Köpfen, während sie gespannt auf ihre Reaktion warteten.
„Bleibt es eine gute Tat, auch wenn die alte Dame die Hilfe gar nicht wollte?"
„Dann hätte sie es sagen müssen oder?"
„Das hätte sie, trotzdem, ist die Tat dann noch immer gut?" Grübelnd sah ich neben mich zu Lian. Er machte eine ähnlich nachdenkliche Miene und schien nach einer Lösung zu suchen. Die Frage war nur, gab es eine richtige Lösung? Gab es überhaupt eine Definition für gut und böse?
„Anders gefragt, wäre es eine gute Tat, wenn die Person der alten Dame nur geholfen hätte, weil sie sich eine Gegenleistung erhoffte? Beispielsweise Geld?", hakte Mrs. Marley nach, als niemand wirklich gewusst hatte, was er dazu sagen sollte.
„Nein." Nach und nach schlossen sich dieser Meinung immer mehr Schüler an.
„Warum?"
„Kommt es nicht auf die Intention an? Wenn ich etwas mit gutem Hintergedanke tue, dann ist es gut. Habe ich aber ein egoistisches Ziel oder sogar böse Absichten, ist die Tat natürlich nicht gut", erklärte Linn, als Mrs. Marley sie zum Reden aufgefordert hatte.
„Hmh", brummte sie anerkennend, während sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ.
„Das bedeutet, dass etwas, das eine andere Person negativ beeinflusst, von dem Verursacher aber gut gemeint war, eine gute Tat ist?" Ich starrte Mrs. Marley einen Moment lang an, weil ich versuchte diesen langen Satz richtig zu verstehen.
Sie wiederholte die Frage, als sich niemand im Kurs fand, der eine Antwort darauf hatte.
„Ja?", entgegnete schließlich das schwarzhaarige Mädchen fragend.
„Immer?", hakte Mrs. Marley neugierig nach, während sie mit langsamen Schritten vor dem Kurs auf und ab ging.
„Wenn Sie so fragen, dann bestimmt nicht." Sie und einige Schüler des Kurses lachten leicht.
„Eine Person, die pflegebedürftigen Menschen gut und erfolgreich hilft, es aber nur des Geldes wegen macht, tut nichts Gutes. Eine Person, die die ihr anvertrauten Kinder in der Kita mit falscher Stränge und Härte erzieht, weil sie glaubt das sei das Beste für sie, vollbringt gute Taten?" Ich sah wieder zu Lian, weil ich glaubte in seinem Gesicht ablesen zu können, was er davon hielt. Doch er starrte nur gedankenverloren an die Tafel und schien nicht einmal mitzubekommen, dass ich ihn ansah.
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Magische Träume (4. Teil)
Spiritual1. Teil: Zufall oder Magie? Während Sam und Lian daran arbeiten ihr Vertrauen zueinander wieder aufzubauen, müssen sich Beide ihren größten Herausforderungen stellen. Lian kann seine Vergangenheit nicht länger verdrängen und Sam muss sich ihrer Zuku...