84. Kapitel - Abwarten

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Auf dem kalten, langen Flur des Wartezimmers ging ich hektisch auf und ab. Die Lichter waren grell, die Einrichtung ungemütlich kahl und trist. Der typische Geruch von Krankenhaus lag in der Luft. Eine Mischung aus Desinfektionsmittel, Putzmittel und Essen. Nervös biss ich auf meiner Unterlippe herum, während ich so schnell lief, dass ich schon Seitenstechen hatte. Ich drehte durch vor Sorge und war nicht in der Lage dazu anzuhalten.

Wir hatten Connor aus dem Wasser gezogen. Lian hatte den Notruf gewählt. Eine gequälte halbe Stunde hatten wir warten müssen, bis Hilfe gekommen war. Ich bekam die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Die Platzwunde an seiner rechten Stirnseite, das gänzlich verdrehte Bein. Connor, der immer wieder sein Bewusstsein verloren hatte, bis er am Ende gar nicht mehr ansprechbar gewesen war und wir nicht mehr hatten tun können, als ihn in die stabile Seitenlage zu legen.

Jetzt hieß es warten. Keiner sagte uns was mit ihm war. Niemand gab uns auch nur einen Hinweis. Es war mittlerweile kurz vor Mitternacht und wir wussten immer noch nicht wie es um ihn stand. Ob er es überleben würde, ob er, falls er aufwachen würde, noch der Connor war, den wir kannten.

Tränen rannen mir über die Wangen. In den letzten Stunden hatte ich gar nicht mehr aufgehört zu weinen. Ich erstickte an den Vorwürfen, die ich mir selbst machte. Connor war das nur wegen mir passiert. Wenn er starb, dann war das meine Schuld, dann lag das in meiner Verantwortung. Ich hatte ihn gegen Lian eingetauscht. Das würde ich jederzeit wieder tun, aber... niemand von ihnen hatte verdient in diese Situation zu kommen. Niemand von meinen Freunden sollte Angst um sein Leben haben müssen, wegen mir.

Jetzt verstand ich zum ersten Mal richtig, warum meine Grandma damals diese Entscheidung getroffen hatte. Wenn das der einzige Weg war, um andere vor mir zu schützen, um Lian zu schützen, dann müsste ich diesen Weg...

„Hier, wir müssen aus den nassen Sachen raus", unterbrach Lian meine schnellen Gedanken und reichte mir eine Tasche. Verwirrt starrte ich diese an und blickte dann zu ihm auf.

„Er hat sie uns vorbei gebracht", erklärte er und deutete auf meinen Grandpa, der neben Linn stand und ihr auch eine Tasche gab. Ich nickte.

„Hast du auch was?", fragte ich heiser und wischte mir schnell die Tränen weg.

„Ja, hier müsste etwas für mich drin sein." Lian öffnete die Tasche und holte eine Jogginghose, ein T-Shirt und Unterwäsche für mich raus. Ich nahm die Sachen entgegen und lief dann zu Linn.

„Wollen wir uns umziehen gehen?", fragte ich und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Toiletten.

„Ich will hier nicht weg, vielleicht kommen sie gleich raus." Ich biss mir auf die Lippe, weil ich mir plötzlich dumm vorkam Linn diese Frage überhaupt gestellt zu haben. Es war unwichtig sich umzuziehen, wenn es um Connors Leben ging.

„Ich kann hier warten, bis ihr wieder da seid", sagte Lian und trat dabei hinter mich. Linn zögerte einen langen Moment, willigte dann aber ein, als Lian ausdrücklich sagte wie wichtig es war, dass wir aus diesen nassen Klamotten rauskamen, die wir alle schon zu vielen Stunden trugen.

Linn und ich gingen also zusammen zu den Toiletten und zogen uns um. Als ich die trockenen Sachen anhatte, blieb ich einen Moment vor dem Spiegel über den Waschbecken stehen. Wenn ich mir selbst so entgegensah, dann entdeckte ich ganz klar, dass es meine Augen waren, die das Geistermädchen hatte. Nicht die Augenfarbe, aber alles andere. Die Form, die Wimpern...

Warum war mir das nie aufgefallen? Selbst ihr Gesicht ähnelte, unter all den unheimlichen Aspekten, auffällig meinem. Es war definitiv so, wie es Mrs. Rutherford und Mrs. Lane gesagt hatten. Sie war ein Teil von mir, sie war irgendwo ich, ich war irgendwie sie. Was bedeutete, dass ich für den Unfall von Connor verantwortlich war. Ganz allein ich.

Magische Träume (4. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt