27. Kapitel - New York

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In zehn Tagen hatte ich Geburtstag. Dann würde ich 18 werden. Das bedeutete ab diesem Tag könnten meine Träume real werden. Ich hatte diesen Fakt lange Zeit verdrängt. Doch Lian hatte mir dieses Problem bei unserem gestrigen Streit wieder in Erinnerung gerufen. Musste ich mir um meinen Geburtstag wirklich Sorgen machen? Die meisten bekamen reale Träume erst, wenn sie 20 oder 21 Jahre alt waren. Bis dahin hatte ich noch gut zwei Jahre Zeit. Ich wusste, dass dieses Gen bei mir wahrscheinlich deutlich mehr ausgeprägt war, als bei anderen. So war es jedenfalls bei meiner Grandma gewesen. Aber bedeutete das auch, dass meine Träume früher real werden würden, als gewöhnlich?

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe des Taxis. In New York regnete es, wie so oft. Obwohl es etwas mehr als 20 Grad draußen war, fror ich, seitdem wir das Flugzeug verlassen hatten. Ich war deutlich heißere Temperaturen gewohnt und musste mich an das kühlere, nasse Klima erst einmal gewöhnen.

Es musste in der Stadt schon eine Weile geregnet haben. Die Straßen waren nass und mit einigen Pfützen überseht. Wasser rann die Scheiben des Taxis entlang, während die Wolken so grau und schwer erschienen, dass ich den Eindruck hatte, es würde schon in wenigen Minuten dunkel werden. Dabei war es erst 17 Uhr, als wir an meiner alten Highschool vorbeifuhren.

Die Schule, die Straßen, der Regen, alles erinnerte mich an den einen Morgen, der mein letzter für eine lange Zeit, hier in New York, gewesen war. Meine Mutter war noch besorgter als sonst gewesen. Sie hatte mir viel zu oft gesagt, wie lieb sie mich hatte und dass ich ihr sofort Bescheid geben müsse, wenn ich etwas Seltsames beobachten würde.

An diesem Tag hatte sich mein ganzes Leben verändert. Es war ein komisches Gefühl wieder hier zu sein. Irgendwie befremdlich. Ich gehörte hier nicht mehr her und ich fühlte mich auch überhaupt nicht wohl. Hier warteten einige Herausforderungen auf mich, während ich meine Probleme in Richland Springs nicht einmal im Ansatz gelöst hatte. Jetzt, wo ich hier war, fühlte es sich wie die falsche Entscheidung an, überhaupt gegangen zu sein.

Ich vermisste Lian, so sehr, dass mir das Herz wehtat. Ich hatte eine unruhige Nacht und eine lange Anreise hinter mir. Ich hatte also viel zu viel Zeit gehabt, um über alles nachdenken zu können. Jetzt verstand ich Lian, ich verstand warum er mit meiner Reaktion auf Jayden so ein großes Problem gehabt hatte. Ich verstand ihn sogar sehr gut, aber ich konnte nichts mehr an meiner Reaktion ändern.

Was ich ihm gestern gesagt hatte, musste für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Ich hatte dem Mit-Mörder seiner Familie mein Mitleid ausgesprochen. Ich hatte irgendwie sogar versucht ihn zu verteidigen. Dabei war er in den Augen von Lian einfach nur der Verantwortliche für so viel Leiden in seinem Leben. Was ich ihm gestern gesagt hatte, musste schlimm für ihn gewesen sein und ich schämte mich jetzt deswegen. Es war unfair gewesen ihm das zu sagen. Ich hatte nur an mich gedacht, ich hatte geglaubt ein Recht darauf zu haben ihm all meine Gefühle zu zeigen. Dabei hätte ich für Lian da sein müssen. Ich hätte mich mit meinen Gefühlen zurückhalten und ihm Verständnis entgegenbringen müssen. Ich hätte alles anders machen müssen.

Mein Ärger und die Wut über sein Meiden von Gesprächen, war längst verflogen. Ich bereute es nur noch, wie das alles gelaufen war. Ich wollte es rückgängig machen und ich wollte mich bei ihm entschuldigen. Ich wollte Lian einfach nur in die Arme nehmen und ihn eng an mich pressen. Ich vermisste seine Nähe und den Körperkontakt. Ich vermisste seine Küsse und seine einst so fürsorgliche Art. Ich wollte einfach nur bei ihm sein und ihm sagen, dass es mir leid tat. Doch jetzt saß ich in New York fest und musste mich um andere Dinge kümmern.

Ich könnte ihn wenigstens anrufen und mich entschuldigen. Das hatte ich eigentlich auch vor, das musste ich dringend tun, aber ich traute es mich irgendwie nicht. Wenn ich daran dachte auf seinen Kontakt zu klicken und ihn wirklich anzurufen, wurde mir schlecht. Das lag aber nicht nur daran, dass ich ein sau schlechtes Gewissen hatte, mich fühlte, als hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht und wir würden nie wieder zu einander finden, nein, mich machten zusätzlich noch immer die Zahlen nervös.

Magische Träume (4. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt