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Ich schletze die Zimmertür zu werfe mich aufs Bett.
"Tini", höre ich wenig später von draussen. Wenige Sekunden später kommt Jorge ins Zimmer.
"Verschwinde!", schreie ich ihn an.
"Was zum Teufel hast du?", fragt er aufgebracht.
"Ich weiss es nicht, okay?"
Ich werde leise und seufze. Ich setze mich auf mein Bett und atme tief ein und aus.
"Willst du wissen warum ich in Europa war?"
Er setzt sich zu mir. "Ja, aber Tini du musst es mir nicht jetzt sagen. Wirklich. Nicht wenn ich so scheisse zu dir bin."
Ich schüttle den Kopf. "Muss ich nicht, will ich aber."
Er seufzt. Ich atme tief ein. Ich brauche eine Weile um die schmerzhaften Erinnerungen zurückzuholen.
"Du weisst doch noch als meine Eltern starben? Ich war dabei."
Jorge schaut mich entsetzt an. "Was?" Ich nicke.
"Ich musste zur Schule und sie wollten mich dahinfahren. Doch auf dem Weg dahin, wollten sie noch in die Bank. Ich wollte unbedingt mit, damit ich nicht alleine im Auto warten muss." Mir fliesst eine Träne runter. Ich spüre eine Hand auf meiner. "Du musst das nicht erzählen, Tini."
Ich schliesse kurz die Augen. "Mir gehts gut.
Dort drinnen war mir mega langweilig. Bis ich eine laute männliche Stimme hörte. Ich drehte mich zur Tür. Die Bank wurde überfallen.
Sofort ging ich unter einen Tisch. Meine Eltern kamen auf mich zugerannt und wollten auch unter den Tisch. Bis ich zwei Schüsse hörte. Als ich meine Augen öffnete, lagen meine Eltern genau vor mir. Tot. Sie waren tot, weil sie zu mir wollten. Mich beschützen wollten. Ich ging sofort zu ihnen und hielt die blutende Wunden zu. Ich hatte das Blut von ihnen an meinen Händen."
Ich schliesse kurz meine Augen und öffne sie wieder. Jorge wischt mir die Tränen weg.
"Zum Glück war das Ganze nach kurzer Zeit vorbei. Doch meine Eltern waren nicht mehr hier. Ich konnte damit nicht mehr umgehen. Die ganze Zeit hatte ich die hässlichen Bilder vor Augen. Wie sie erschossen wurden. Wie ich ihr Blut an meinen Händen hatte. Ich konnte nicht mehr schlafen. Nicht mehr in die Schule gehen. Nichts mehr, verstehst du? Ich wollte einfach weg. Ich war ehrlich gesagt psychisch nicht mehr ganz.
Ruggero hielt es nicht mehr aus mich so zu sehen und besprach sich mit meinen Verwandten. In der Schweiz gibt es eine Art Schule für psychisch kranke Menschen wie mich. Na ja, das klingt hart, aber die haben das echt gut gemacht. Die ärztlichen Behandlungen und so.
Aber ich durfte auch keinen Kontakt zu Menschen, die ich kenne. Ich musste ein neues Leben anfangen. Ich hatte immer ein Bild von dir, mir und Rugge auf dem Nachttisch. Mehr jedoch nicht. 7 Jahre lang. 7 Jahre lang brauchte ich diese Behandlungen."
Jorge nimmt mich kurze Zeit später in seine Arme.
"Du bist eine starke junge Frau, Tini", flüstert er.
Ich weine in sein Shirt. Doch ich bin erleichtert, es jemanden erzählt zu haben.
"Aber du hattest bestimmt viele Freunde dort", sagt Jorge.
Ich nicke. "Ja. Ich hatte sogar einen Freund. 5 Jahre lang. Bis ich ging. Ich vermisse ihn jetzt noch sehr."
Falls das Jorge irgendwie verletzt hat, ist es mir eigentlich egal. Ich habe gesagt, ich werde nichts mit ihm anfangen.
"Danke, dass du zugehört hast, Jorge", sage ich.
"Danke, dass du es erzählt hast, Martu", sagt Jorge. Ich lache. "Martu?"
"Ja, du bist meine kleine Martu."
Meine kleine Martu.

Jortini - Der beste Freund meines BrudersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt