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Tini
Hat er das jetzt wirklich gesagt? Entsetzt mache ich den Mund auf. "Was zum Teufel läuft falsch bei dir, Jorge?"
Mit dieser Antwort scheint er nicht gerechnet zu haben.
"Zuerst machst du Schluss mit mir und brichst mir das Herz, dann sagst du, dass du mich nicht liebst und jetzt kommst du mit dem Scheiss und willst mir damit ein schlechtes Gewissen machen! Entscheide dich, verdammt nochmal!"
Bevor Jorge etwas sagen kann, hält Rugge ihn auf.
"Gehen wir besser aus dem Krankenhaus, ich gehe ins Auto und ihr könnt das weiter diskutieren."
Jorge und ich nicken, worauf ich voraus gehe und die beiden mir folgen.
"Miss Stoessel?", fragt mich eine Krankenschwester. "Ja?"
Wir bleiben alle stehen.
Sie hält mir einen Zettel entgegen.
"Dr Dempsey sagte, ich solle es Ihnen bringen", schmunzelt sie.
Ich runzle die Stirn.
"Er hat mir doch schon alle Formulare gegeben?"
Sie kichert. "Das ist kein Formular."
Während ich den Zettel nehme, sagt Rugge: "Tini, da ist seine Nummer drauf."
Ich sehe fragend zur Schwester, die lächelnd nickt und dann geht.
"Oh", sage ich leise und laufe weiter.
Ich öffne den Zettel und drehe es so, dass Jorge und Rugge es nicht lesen können.
'Ich denke das war nicht das erste und letzte Mal. Oder täusche ich mich? Ruf mich an'
Und darunter steht die Nummer. Ich schaffe es nicht ganz mein Lächeln zu unterdrücken und stecke den Zettel in die Hosentasche.
Draussen angekommen, verschwindet Rugge im Auto, während Jorge und ich in den strömenden Regen gehen.
"Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?", seufze ich.
"Patrick ist ein guter Kerl. Er würde mich nie verletzen. Er ist ein guter Mensch. Und das kann man von dir nicht immer behaupten."
Er knurrt. "Meinst du, das weiss ich nicht? Ich bin sicher Patrick ist ein besserer Mensch als ich und, dass er dich nicht verletzen würde. Ich wette auch, dass ihr guten Sex habt! Aber das habe ich dir alles auch gegeben!"
Ich schüttle energisch den Kopf.
"Du kannst mir doch nicht einmal den Grund geben, warum du mich verlassen hast!"
Jorge schliesst die Augen und atmet tief ein und aus.
"Ich wollte dich nur beschützen!"
"Vor was oder wem, bitteschön?", frage ich verzweifelt.
"Darüber sollten wir in Ruhe reden", sagt er nun leise und seine Augen funkeln.
"Na gut. Lass mich bis dann doch einfach in Ruhe! Deal?"
Er macht einen Schritt auf mich zu.
"Was ist wenn ich das mache?"
Er nähert sich und legt seine Hände auf meine Taille.
Ich fange an zu stottern.
Er grinst sicher.
"Dann sorge ich dafür, dass du sie in Ruhe lässt."
Erschrocken drehen wir uns zu Patrick. Jorge lässt mich wütend los. Ich schlucke schwer.
Lange schauen sie sich an.
"Muss ich 'bitte' sagen, damit du gehst?", fragt Patrick genervt.
Jorge sagt immer noch nichts.
Also mische ich mich ein. "Nein, aber ich mache es. Bitte, geh."
Ich erwarte Wutausbrüche, doch er nickt. "Okay."
Er joggt zum Auto. Eine Weile fühle ich mich verloren, bis ich eine Hand an meiner Hand spüre.
"Ich weiss womit ich dich ablenken kann", lächelt er.
"Patrick ich werde nicht mit dir schlafen. Also doch, aber nur nicht jetzt."
Er lacht leise. "Das meine ich nicht."

"Bist du sicher, dass ich das darf?", frage ich ihn nervös.
"Wasch dir die Hände und Unterarme."
Ich mache ihm nach.
"Und ja, also nein. Also... Ich habe meine besten Leute zu dieser Operation eingeladen und die haben nichts dagegen. Der Chefarzt muss das ja nicht erfahren."
Er grinst warmherzig. Ich entspanne mich ein wenig.
"Wird dir schlecht von Blut?", fragt er noch.
"Ein bisschen spät zum Fragen, findest du nicht? Aber nein, ich zog sogar in Betracht Medizin zu studieren."
Er sieht mich überrascht an.
"Dann.. Hätten wir uns vielleicht schon früher kennengelernt."
Er unterdrückt sein Lächeln leicht.
"Möglich."
Er geht in den OP-Raum, worauf ich merke, dass ich auch rein sollte.
Leute kommen zu mir und kleiden mich entsprechend an. Patrick deutet an, mich neben ihm zu stellen.
"Fangen wir gleich an. Leute, das ist Martina."
Alle lächeln mich höflich an.
Dann wende ich mich wieder an Patrick. Er macht sich am Hirn zu schaffen. Es ist zwar gruselig, aber irgendwie sehr spannend und beeindruckend.
"Ellen, kannst du mir mal das da drüben geben?"
Ich erstarre. Seine Ex-Frau ist hier?
"Natürlich. Hier."
"Danke."
Ich räuspere mich.
Ich höre ein nettes Lachen von Ellen. "Es muss dir nicht peinlich sein, dass du mit Patrick schläfst. Schämen musst du dich nicht. Nicht vor mir."
Patrick lacht amüsiert. Ich spüre wie ich rot werde.
"Es ist mir aber peinlich. Ziemlich."
"Saugen, bitte. Tini, wir können offen über alles reden. Es stört sie nicht."
Ellen nickt.
"Es gibt nichts zu bereden", sage ich trocken.
"Natürlich gibt es das. Zum Beispiel ob du Jorge noch liebst. Oder - Pinzette, bitte - oder ob du nur mit mir schlafen willst aus Kummer.. Versteh mich nicht falsch, ich mag es mit dir zu schlafen. Sehr. Aber ich will wissen ob ich das nochmal erleben darf."
Er schmunzelt als er meinen Blick sieht. Alle im Raum kichern und Ellen lacht amüsiert.
"Tut mir leid. Hier-"
Er hebt seine Hand und zeigt mir etwas Schwarzes.
"Das ist ein Tumor. Diese Frau hatte Glück, dass er sich nicht weiter ausgebreitet hat. Könnt ihr Mrs. Pekal bitte zu machen?"
Eine Weile betrachte ich den Tumor. Krass.
"Komm, Tini."
Patrick und ich laufen raus und waschen unsere Hände wieder.
"Und?", fragt er.
"Danke.. Das war wirklich beeindruckend."
Während wir unsere Hände trocknen, sagt er: "Es ist schlimm ein Menschenleben in der Hand zu haben. Wortwörtlich. Es passieren Fehler, Menschen sterben weil es zu spät ist. Aber wenn ich sehe wie ich Leben rette, wie ich den Familien und den Menschen Freude bereite, dann weiss ich wieder warum ich Chirurg geworden bin."'
Nun laufen wir weiter. Doch dann halte ich ihn auf.
"Du hast ein grosses Herz, Patrick. Es ist am richtigen Fleck. Und das ist es, was ich an dir so mag. Ich kenne dich zwar erst seit ein paar Wochen, aber um das zu erkennen, braucht es nicht viel."
Er zieht mich in einen Raum.
"Was meinst du genau?"
"Ich möchte dich besser kennenlernen, falls du das auch willst."
Er lächelt leicht und sagt: "Natürlich will ich das."
Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen und küsse ihn sanft. Er drückt mich an sich und wir lächeln beide in den Kuss hinein.
Das ist der einzige Moment in dem ich Jorge vergessen kann. Wenn ich Patrick küsse, dann existiert Jorge für mich nicht.
Und das - das ist verdammt erleichternd.

Jortini - Der beste Freund meines BrudersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt