𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘶𝘭𝘭𝘪 1

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Luela

Wir hatten um 3 Uhr nachts, meine drei Cousinen und ich, auf dem Balkon Platz genommen. Wir warteten darauf, dass meine Cousins zurückkehrten, nachdem sie zum kleinen Dorfladen gefahren waren, der rund um die Uhr geöffnet hatte.

Mein Blick schweifte nach oben zum Mond. Es war klar zu sehen. Ich liebte den Mond. Ich liebte ihn. Alles um mich ließ ich verblassen und konzentrierte mich nur auf die Schönheit des Mondes. Schaust du gerade auch den Mond an? Das haben wir damals immer gemacht, als wir zusammen nachts rausgeschlichen sind. Ich hatte das Gefühl, dass ich durch den Mond mit ihm kommunizieren konnte.

Bin ich blöd geworden? Was bilde ich mir bitte hier ein?

Ein Tippen auf meine Schulter nahm ich wahr. "Alles okay?", fragte mich meine Cousine mit einem fragenden Blick. Ich nickte nur, bevor sie noch etwas sagen konnte, kamen meine Cousins dazu, wofür ich mehr als dankbar war, sonst hätten sie mich mit Fragen bombardiert.

"Nuk kish njeri t'gjall", sagte mein Cousin, dass es kein Menschenseele zu sehen gab. Ah Warum wohl schaut mal auf die Uhr ihr dummköpfe! Sie hatten aber meine lieblingschips geholt. Ich nahm mir sie und fing an zu essen.

Als wir noch in Kosovo lebten kaufte mir Babi immer die nach der Arbeit bis zu meinem 16ten Lebensjahr, bis er die sache mit uns mitbekam. Seitdem ist er viel strenger geworden. Unternimmt kaum was mit mir. Und rausgehen darf ich auch nicht, selbst mit meine Brüder.

"Du bist ja heute voll die Denk-Maus, was ist los Süße, worüber zerbrichst du dir den Kopf?", fragte mich diesmal meine jüngere Cousine. Wenn du nur wüsstest, Seula, wenn du nur wüsstest. Es macht mich kaputt. Es macht mein Herz kaputt. Meine Gedanken sind nur bei ihm. Ich werde noch verrückt und aushalten tue ich es auch nicht mehr. In meinem Hals bildete sich nur ein Kloß, sprechen konnte ich nicht, doch ich ließ mir nichts anmerken und signalisierte ihr nur mit dem Kopf, dass es nichts sei.

Sie beließ es dabei, und sie fingen an mit den anderen zu reden. Ich, wie immer, saß leise da und aß meine Chips. Und schon wieder war ich in Gedanken vertieft. Manchmal ist es so schlimm, dass ich keine Luft mehr bekommen kann. Ich heule mir manchmal nächtelang die Seele raus. Seitdem Tag habe ich kein Auge ruhig zumachen können. Nicht eine Nacht. Dann auch noch Babi, der die Sache alles nur schlimmer machte, brachte mich zur Weißglut.

Mein Cousin schlug vor, dass wir morgen in die Stadt gehen könnten. Um ehrlich zu sein, finde ich das gar keine schlechte Idee, nur Babi wird das Problem sein. Hoffentlich lässt er mich dieses Mal ein wenig Spaß haben. „Un e pys Axhin", sagte mein Cousin, dass er meinen Vater um Erlaubnis fragen würde. Ich nickte ihm lächelnd zu und stand auf. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste mich bewegen. Am besten gehe ich rein und wasche mein Gesicht erst einmal.

Ich ging ins Badezimmer, schloss die Tür und begab mich zum Waschbecken. Ich schaute mich im Spiegel an und wendete meinen Blick wieder ab. Ich sah wortwörtlich schrecklich aus. Ich wusch mir das Gesicht und blieb erst einmal ein paar Minuten am Waschbecken angelehnt.

Was ist, wenn du ihn morgen in der Stadt siehst? Quatsch! Denk nicht einmal daran, es wird sowieso nicht passieren. Aber was, wenn doch? Wie soll ich mich verhalten? Wird er mich überhaupt erkennen? Gott, es macht mich so nervös! Aber wer sagt schon, dass er genau morgen und dann auch noch um die gleiche Uhrzeit rausgeht? Kann sein, dass er gar nicht mehr hier wohnt.
Okay, okay, ist schon gut, keine Panik.

Das Badezimmer verließ ich wieder und ging auf das Zimmer, wo wir alle schlafen würden. Da die anderen noch auf dem Balkon waren, war ich ganz alleine im Zimmer. Ich legte mich dort hin, wo ich bis jetzt immer geschlafen hatte, und versuchte zu schlafen.

Ich brauchte Ruhe. Mein Herz brauchte Ruhe. Mein ganzer Körper brauchte Ruhe. Wortwörtlich Ruhe. Doch diese fand ich nur bei ihm. Bei ihm fand ich Frieden. Selbst nach drei Jahren, jedes Mal, wenn ich an ihn denke, kann ich nachts einigermaßen besser schlafen.

Wenn ich jemandem meine Gedanken erzählen würde, würden sie denken, ich sei psychisch gestört. Einmal hatte ich mich gegenüber einer Freundin, naja, "Freundin", geöffnet, und seitdem fanden mich alle in der Schule komisch. Doch als ich eine Ausbildung im Krankenhaus begann, änderte sich einiges. Ich öffnete mich zwar niemandem, aber ich fühlte mich dort wohl.

Den Kontakt zu Menschen habe ich immer versucht zu vermeiden. Ich war immer das Kind, das in der Schule mit seiner Brotdose auf einer Bank saß und mit niemandem redete. Jetzt im Krankenhaus ist der Kontakt zu Menschen viel höher, aber als MTLA-Azubi habe ich hauptsächlich im Labor zu arbeiten, höchstens mit zwei Kollegen, die ihre eigenen Aufgaben erledigen müssen, und ich meine.

Menschen helfen wollte ich schon immer, aber meine Lehrer meinten, dass meine Fähigkeiten für ein Medizinstudium nicht ausreichen würden. Sie hielten mich einfach für zu unfähig dafür. Ob mich das verletzt, weiß ich nicht. Nicht mehr als der Schmerz, den er mir hinterlassen hat. Doch immerhin arbeite ich jetzt im Krankenhaus. Wenn ich als Ärztin keine Menschenleben retten kann, versuche ich es auf eine andere Art und Weise, im Labor.

Meine Gedanken wurden unterbrochen von einer Mitteilung auf meinem Handy. Ich sah nur das Snapchat-Logo und beließ es dabei, da es wahrscheinlich nur meine Cousinen waren, die mir komische Snaps schickten. Und wieder Stille.

Langsam schloss ich meine Augen und schlief schließlich ein.

~ 🌷ب

Kur Kthehësh?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt