Die Neue in der Klasse - Teil 1

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Atemlos hetzte Marita durch die Straßen von Schwerin. Sie war spät dran und jetzt hatte sie sich zu allem Überfluss auch noch verlaufen. So ein Mist! Jetzt kam sie an ihrem ersten Tag in der neuen Schule auch noch zu spät. Frustriert und ein wenig wütend auf sich selbst, blieb sie stehen, schaute sich hektisch um und suchte nach der richtigen Straße.

Warum setzte sie sich eigentlich selbst so sehr unter Druck? Ein trotziges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wenn sie an ihrem ersten Tag zu spät kam, dann war das eben so. Was sollte ihr schon passieren? Man würde sie deshalb schon nicht gleich wieder vor die Tür setzen.

Sehr viel langsamer setzte sie ihren Weg fort und lächelte entspannt. Tief atmete sie durch und dachte nach. Die wievielte Schule war das jetzt? Die dreizehnte oder die vierzehnte? So ganz genau wusste sie es nicht, doch es war immer wieder schwer, in jeder Schule die Neue zu sein und von allen angestarrt zu werden. Allein schon bei dem Gedanken verkrampfte sich ihr Magen. Warum konnte sie nicht einfach irgendwo ankommen?

Nirgends fühlte sie sich zu Hause. Wie Vagabunden waren sie immer wieder von einem Ort zum anderen gezogen, nur weil ihre Mutter es nie lange irgendwo aushielt. Immer hatte sie ihren Beruf vorgeschoben, aber das war Unsinn. Sie hätten auch an einem Ort bleiben können und ihre Mutter hätte mit dem Zug oder mit dem Flugzeug in die jeweilige Stadt reisen können, um dort zu arbeiten. 

Doch stattdessen waren sie immer wieder weiter gezogen und Marita hatte jedes Mal ihre Freunde verloren. Immer wieder gab es einen tränenreichen Abschied, doch obwohl alle es versprachen, meldete sich kaum jemand, wenn sie erst einmal fort war. Aus den Augen, aus dem Sinn. Das hatte sie schmerzhaft lernen müssen.

Bei einem Straßenmusiker blieb sie stehen und hörte ihm eine Weile zu. Wenn sie doch nur selbst so gut singen könnte. Dann würden die anderen aus ihrer Klasse sie bewundern und sie vielleicht auch in ihr Herz schließen. Mit einem kleinen Lächeln stellte sie sich vor, wie sie im Mittelpunkt stand und alle mit ihrer engelsgleichen Stimme bezauberte. Ein wirklich schöner Gedanke.

Doch das würde wohl nie passieren, denn sie konnte nicht singen. Keinen einzigen Ton konnte sie halten und meistens hatten die anderen über ihre Gesangskünste gelacht, wenn sie im Musikunterricht aufstehen und ein Lied singen musste. Es war schön im Mittelpunkt zu stehen und von allen bewundert zu werden. Aber es fühlte sich gar nicht gut an, wenn die anderen über einen lachten. Wie das wohl in der neuen Klasse werden würde? Schon wieder hatte sie dieses flaue Gefühl im Bauch.

Verträumt lief sie weiter und entdeckte ein kleines Antiquariat. Im Schaufenster lagen alte Bücher und vergilbte Landkarten. Neugierig trat sie näher, studierte die Titel der Bücher und stellte sich vor, welche Geschichten wohl zwischen den Seiten schlummerten. Bücher waren schon immer ihre Freunde gewesen. Bei allen Umzügen hatte sie diese Freunde mitgenommen und sie immer wieder fein säuberlich in ihr Regal einsortiert. Sie gaben ihr Halt, wenn alles andere um sie herum zerbrach.

Gerade schloss der Inhaber des Ladens die Tür auf und wie von einer Schnur gezogen, ging Marita hinein. Nur kurz nickte sie dem Mann zu und genoss den herrlichen Geruch des alten Papiers. Glücklich stand sie vor dem Regal und nahm ein Buch in die Hand. Es war ein uraltes Wörterbuch, Spanisch - Deutsch. Im Jahr 1891 hatte man es gedruckt. Demnach war es jetzt etwas mehr als einhundert Jahre alt. Ein wirklich schönes Buch. Versonnen blätterte sie durch die Seiten.

Geld hatte sie genug dabei. Trotzdem überlegte sie, ob sie es klauen konnte, doch aus dem Augenwinkel sah sie den Mann, der sie anscheinend beobachtete. Mit einem kleinen Bedauern stellte sie das Buch wieder zurück und entdeckte daneben das ebenso alte Gegenstück, Deutsch - Spanisch. Sie musste diese beiden Bücher einfach haben. Schon lange wollte sie ihre Spanisch-Kenntnisse aufbessern und diese beiden Bücher hatten bestimmt jeweils mehr als 1000 Seiten. So dicke Wörterbücher fand man sonst nirgends.

In High Heels auf dem StrichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt