Skandal - Teil 48

4 0 0
                                    

Dicht über dem Horizont stand die Sonne und hüllte alles in ein rot goldenes Licht. Endlich tauchte der Schweriner See in der Ferne auf. Sehr schnell kam das Flugzeug näher und immer mehr von der Stadt war zu erkennen. Mit einem Lächeln drehte Michele noch eine kleine Extrarunde. Die beiden Fluggäste beugten sich vor und genossen den atemberaubenden Anblick in diesem herrlichen Licht. Ritze war hier aufgewachsen, er kannte die Stadt in- und auswendig.

Doch so hatte er sie noch nie gesehen. Auch Marita war Schwerin inzwischen sehr vertraut. Der Ort war zu ihrer Heimat geworden und jetzt erschien es ihr, als würde dort unten ein kostbares Juwel in der Abendsonne erstrahlen. Auf der kleinen Insel, direkt neben der Stadt, erhob sich das wunderschöne Schloss, mit seinen vielen Türmen und Zinnen. Der See glitzerte wie ein riesiger Spiegel und die umliegenden Wälder erstrahlten in sattem Grün.

"Unfassbar, oder?", hauchte sie.

Er nickte. "Wie in einem Märchen."

Michele drehte sich kurz zu seinen Fluggästen um. "Ich freue mich, dass es euch gefällt. Aber jetzt muss ich wirklich landen. Die Sonne geht unter und ich will nicht in der Dunkelheit nach der Graspiste suchen."

Nach einer letzten Runde über der Stadt nahm er Kurs auf Pinnow, dem kleinen Sportflughafen ganz in der Nähe und setzte zur Landung an.

Ein wenig ruppig setzte er die Maschine auf, bremste sie ab und ließ sie direkt vor dem zweistöckigen Gebäude ausrollen. Endlich schwiegen die Motoren. Müde stiegen sie aus und genossen die frische Luft und den Duft der Blumen und Gräser.

"Was für ein Erlebnis!" Sie streckte sich und strahlte Ritze an. "In meinem ganzen Leben werde ich diesen Tag und diesen Flug nie vergessen."

"Ich auch nicht", stimmte Ritze zu. "Danke, Michele."

Der junge Pilot nickte. "Gern geschehen. Bis zum nächsten Mal."

Während er sich um seine Maschine kümmerte, wollte sie nur noch nach Hause, in die Badewanne und dann ins Bett. Ritze schaute in den Speicher seines Telefons und rief ein Taxi. Es sollte sie an der Bushaltestelle in Pinnow abholen. Vom Sportflugplatz aus war es nicht weit bis dort hin und so machten sich die beiden zu Fuß auf den Weg.

Doch auch nach einer Stunde warteten sie noch immer vergeblich in der leeren Bushaltestelle des Dorfes. Längst war es dunkel und Marita fror. Im Flugzeug war sie zu sehr abgelenkt gewesen, von der beeindruckenden Aussicht, dem Gefühl von Freiheit hoch oben in der Luft. Doch jetzt, auf der harten Bank der Bushaltestelle, kehrten die Erinnerungen an die U-Haft und die letzten Momente vor Gericht zurück.

Noch einmal stand es ihr vor Augen, wie sie von dem Wachmann aus dem Gerichtssaal über den Flur, in die Toilette geführt wurde. In dem Moment war ihr ganz schlecht und die Angst, hatte sie fast gelähmt. Sie wusste nicht, was Ritze und Kalle vorbereitet hatten, doch als sie die vielen Frauen in ihrer Verkleidung sah, war ihr alles klar. Besser ging es nicht.

Sie sah das Bild von Justine, wie sie sich ihre Verkleidung herunterriss und wie sie ihr aus diesem Plastikding herausgeholfen hatte. Die Freiheit war zum Greifen nah gewesen, doch die Furcht hatte sie bis zum letzten Augenblick begleitet. Auf der Treppe wäre sie fast zusammengebrochen, im Auto saß ihr die Angst im Nacken und selbst im Flugzeug hatte die Angst sie begleitet.

Jetzt, auf der harten Bank der Bushaltestelle spürte sie, wie sie ruhiger wurde und dachte an Ritze, Kalle, Justine und die anderen Frauen, die so viel für sie riskiert hatten. Hätten die sie nicht da herausgeholt, dann hätte sie sich in einer richtigen Pariser Gefängniszelle wiedergefunden. Sie hatte keine Ahnung, für wie viele Jahre man sie weggeschlossen hätte, aber ganz sicher wäre ihr die Zeit hinter Gittern sehr lang geworden. Der Gedanke daran ließ ihr Herz noch einmal schneller schlagen.

In High Heels auf dem StrichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt