Rache - Teil 50

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Schwer atmend stand Lutz Hansen am Rand des frisch ausgehobenen Grabes. Der Schmerz über den Verlust seiner Tochter schnürte ihm die Luft ab und brachte ihn fast um. Dort unten lag sein Mädchen, das er beschützt und über alles geliebt hatte. Nun warf er ihr als letzten Gruß ein wenig Erde auf den Sarg.

Nicht zum ersten Mal hatte Lutz das Gefühl, seine Seele würde in Stücke gerissen. Vor ein paar Jahren hatte er seine Frau verloren, die Liebe seines Lebens, die Frau, die ihm in all den Jahren zur Seite gestanden hatte. Damals war es seine Tochter gewesen, die ihn gerettet, die ihn mit ihrer unerschütterlichen Stärke aus dem Abgrund der Traurigkeit gezogen hatte.

Gemeinsam hatten sie den Schmerz durchlebt und einen Weg gefunden weiter zu leben. Sie waren nach Schwerin gezogen, hatten die Villa gekauft und einen Neuanfang gewagt. Er war so unendlich stolz auf seine Tochter gewesen. Mit so viel Ehrgeiz und Entschlossenheit war sie ihren Weg gegangen, obwohl das Leben ihr schon so früh so viel abverlangt hatte.

Doch jetzt? Wie sollte er jetzt weiterleben? Wie sollte er die Leere ertragen, die er mit sich herumtrug, die ihm den Atem raubte und sein Herz mit Kälte erfüllte? Jemand hatte sie ihm genommen, sie auf brutale, sinnlose Weise umgebracht und das Einzige, was ihm blieb, war dieses Grab, ein paar Blumen und der unerträgliche Schmerz.

Wie sollte er jemals einen Weg aus dieser Dunkelheit finden? Der Gedanke, dass er auch diesen Verlust überleben sollte, erschien ihm unmöglich und doch musste er es versuchen. Aber ohne seine Tochter, ohne das Licht in seinem Leben, war nichts mehr von Bedeutung.

Als er sie vermisst gemeldet hatte, wollte die Polizei nicht nach ihr suchen, weil noch keine 24 Stunden vergangen waren. Die glaubten, dass sie weggelaufen wäre und wollten ihm nicht zuhören. Doch dann fand man ihre Leiche und man hatte ihm noch nicht einmal gestattet, sie ein letztes Mal zu sehen. Zu schrecklich sah sie wohl aus.

Doch als er sich wieder einmal bei der Polizei nach den Fortschritten erkundigte, nahm Kommissar Fiebig ihn zur Seite, denn dieser Vater tat ihm leid. Er hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was mit seiner Tochter passiert war. Vielleicht würde er danach auch Ruhe geben und nicht mehr jeden Tag hier herkommen. Mit den Bildern in der Hand saß er ihm gegenüber und lehnte sich auf seinen Schreibtisch. "Herr Hansen, ich werde ihnen sagen, was passiert ist. Aber die Bilder kann ich ihnen nicht zeigen."

Tief atmete Kommissar Fiebig durch. "Gefunden haben wir sie in einem Straßengraben. Aber wir gehen davon aus, dass sie nicht dort getötet wurde. Es gibt weder Reifenspuren noch Fußspuren. In dem hohen Gras war einfach nichts zu finden."

Reglos saß Lutz auf seinem Stuhl.

"Aber ich kann ihnen sagen, dass ihre Tochter sich gewehrt hat. Sie ist nicht kampflos gegangen und das hat den Täter gezwungen, noch einmal zurückzukommen. Er musste seine Spuren verwischen und hat sie mit Säure übergossen. Besonders ihre Hände hat er verätzt, vermutlich deshalb, weil wir dort seine DNA gefunden hätten."

"Das heißt, sie haben keine DNA gefunden?"

Stumm schüttelte Kommissar Fiebig den Kopf.

Erst draußen auf der Straße verstand Lutz, warum er seine Tochter nicht mehr sehen durfte. Obwohl er keinen einzigen Blick auf die Fotos geworfen hatte, schossen ihm schreckliche Bilder von seiner Tochter durch den Kopf. Mit Säure hatte der Kerl sie überschüttet. Er konnte es geradezu hören und sehen, wie ihre Haut und ihr Fleisch zischte und dampfte.

Seine Psychologin half ihm zumindest über diese Bilder hinweg. Sie riet ihm auch, eine Routine zu entwickeln, etwas, das ihm Halt geben könnte. Also ging er jeden Morgen ins Café, versuchte, die qualvollen Gedanken mit einer Zeitung und einem Stück Kuchen zu ersticken. Doch während er hinter seiner Zeitung saß, hörte er eines Tages, wie sich ein älteres Ehepaar miteinander unterhielt.

In High Heels auf dem StrichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt