Herr Ritze - Teil 11

15 1 0
                                    

Längst hatte das neue Schuljahr begonnen, doch weder Ritze noch Kalle hatten Lust dazu, sich mit dem Stoff der 13. Klasse auseinanderzusetzen. Sie gingen einfach nicht mehr hin. Ihre Gedanken kreisten nur noch um ihr neues Geschäft. Das nahm sie völlig in Beschlag. Nur Marita ging noch immer in die Schule, doch ohne Ritze und Kalle machte es ihr nicht halb so viel Spaß.

Die anderen Mädchen waren noch immer gemein zu ihr und die Jungs waren im Vergleich zu Ritze und Kalle zurückgeblieben. Die Lust zu lernen hatte sie verlassen und sie sehnte sich nach ihren Freunden. In der Schule wusste jeder, dass sie mit den Jungs befreundet war, die jetzt im horizontalen Gewerbe eine große Nummer waren.

Deshalb hielt man auch sie für eine Nutte und obwohl sie das an sich abprallen lassen wollte, tat es weh, wenn die anderen sie ansahen, als wäre sie Dreck. In der großen Pause stand sie mal wieder allein auf dem Schulhof und starrte gedankenverloren in die Ferne. Plötzlich stand Jessica direkt vor ihr und schaute ihr mit einem abfälligen Grinsen ins Gesicht.

"Na, Schlampe, wie läuft es denn so im Puff?"

Marita spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. "Ich habe keine Lust auf deinen Mist. Lass mich in Ruhe!", fauchte sie und erinnerte sich an all die Male, als sie die Schule wechseln musste.

Ständig neue Orte, ständig neue Gesichter. Immer wieder hatte sie Anfeindungen erlebt, weil sie die falsche Marke trug oder das falsche Fahrrad fuhr. Nirgends wollte man sie haben, nirgends passte sie hinein. Mal hatte man ihr die Tasche geklaut und ihre Bücher auf dem Schulhof verteilt, mal hatte man ihr ins Essen gespuckt. Jetzt sollte das schon wieder von vorn losgehen?

In diesem Moment klingelte das Telefon in ihrer Tasche. Ohne Jessica weiter zu beachten, drehte Marita sich einfach um und hielt es sich ans Ohr.

"Ja?"

"Hallo, Schatz," hörte sie die vertraute Stimme ihrer Mutter. "Wie geht's dir?"

"Geht so. Schule ist wie immer," antwortete Marita und seufzte leise. "Was gibt's?", fragte sie.

"Ich habe Neuigkeiten", begann ihre Mutter und zögerte einen Moment. "Meine Arbeit hier in Schwerin ist erledigt."

Marita spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. "Was meinst du damit?"

"Der nächste Job wartet auf mich in Irland. Wir werden in ein paar Tagen umziehen."

Sie schluckte schwer, verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und merkte wie die Wut sie packte. 

Doch ihre Mutter redete bereits weiter. "Ich weiß, was du sagen willst, Schatz. Aber das ist nun mal mein Job und Irland wird bestimmt aufregend. Eine neue Kultur, neue Leute... es wird dir gefallen."

Sie war stehen geblieben und drückte den Rücken durch. "Das kannst du vergessen! Ich komme nicht mit! Nicht dieses Mal! Ich bleibe hier!", schrie sie aufgebracht ins Telefon.

Einen Moment war ihre Mutter ganz still. Aber dann meldete sie sich doch wieder. "Du kannst unmöglich hier bleiben! Wie willst du denn die große Wohnung allein halten? Du gehst noch zur Schule und verdienst kein Geld. Wie willst du für deinen Lebensunterhalt aufkommen?"

Nur einen Moment überlegte Marita. "Von heute an gehe ich nicht länger zur Schule und um meinen Unterhalt musst du dir keine Gedanken machen!" Jetzt war sie richtig wütend.

Eigentlich hatte sie früher davon geträumt, irgendwann zu studieren und einen guten Job zu bekommen. Doch jetzt fühlte sich dieser Traum hohl und leer an. Die Vorstellung, noch jahrelang zu studieren, erschien ihr wie eine schreckliche Zeitverschwendung. 

Ihre Mutter versuchte sie zu beruhigen. "Marita, sei vernünftig. Du kannst nicht aus einer kindlichen Laune heraus einfach alles hinschmeißen. Was ist denn nur in dich gefahren?"

In High Heels auf dem StrichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt