Kapitel achtzehn

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HAILEES SICHT


Es war der perfekte Tag. Vielleicht haben die negativen Vibes von Atlas und Jesper gestört, aber am See haben sie sich irgendwann beruhigt und waren wieder ein Herz und eine Seele, mehr noch, sie haben sogar Vincent auf ihre Seite gezogen und ihn dazu angestiftet, mich den ganzen Tag lang zu necken. „Was überlegst du?", Atlas stößt mich in die Seite und deutet auf meinen Teller, auf dem noch ein paar Reiskörner und eine letzte Sushi-Rolle liegen. „Isst du die noch?", Jesper schnappt sich sofort mit seinen Stäbchen die letzte Rolle von meinem Teller und wirft sie sich lachend in den Mund. Vincent neben ihm grinst und lehnt sich erschöpft nach hinten, wobei er tief durchatmet. Er und Jesper haben die Reste gegessen, als Atlas wegen seiner Figur aufgehört hat und ich, weil ich sonst platze. Aber nach so einem perfekten Tag hat mein Bruder darauf bestanden, dass wir uns jedes vegane Gericht aus unserem Lieblingsasiaten unten am Eck gönnen – von Sushi über Bowls zu Woks und Nudeln war alles dabei. „Die war echt lecker", teilt Jesper mir mit und wischt sich die Sojasoße aus dem Mundwinkel, an dem Wein klebt. Atlas schwenkt ebenfalls sein Weinglas und nimmt einen genießerischen Schluck, ehe er sich zu mir dreht: „Also, worüber hast du nachgedacht?" „Nur wie perfekt der Tag war", erwidere ich lächelnd und sehe zu Vincent, der zustimmend nickt. „Wollt ihr dann noch den Film schauen? Oder dürfen wir mitschauen?", hakt Atlas nach und guckt müde. Wir sind heute ewig lang geschwommen, den Strand entlang gelaufen und haben noch Kartenspiele auf der Decke gespielt, bis die Sonne untergegangen ist. „Wir können den gerne zusammen anschauen. Ich weiß nur nicht, ob ich euer Sofa einsauen will, an mir klebt überall Sand, auch wegen Sheera", nuschelt Vincent und zupft unbehaglich an seinen Lederarmbändern, an denen kein Korn klebt. „Du kannst auch bei uns duschen, wenn du dich dann wohler fühlst, Mann", bietet Jesper sofort an und klopft ihm auf die Schulter, woraufhin Vincent sich tatsächlich nicht anspannt, aber zu mir schaut. „Klar, ich würde mir auch kurz die Zähne putzen, habe ich seit heute Morgen nicht mehr", ich räuspere mich und merke, wie die drei Jungs schweigen. Betreten, besorgt, forschend. „Also meinetwegen brauchst du das nicht zu tun. Aber wenn du selber ... ja", murmelt Vincent halblaut und wischt sich über die nackten Oberarme, die auf mich sauber wirken. Ich verstehe aber auch, dass er unbedingt duschen muss. Er war heute wirklich mutig und mir ist nicht entgangen, dass er ein paar Mal unbehagliche Blicke auf die betrunkenen Männer neben uns geworfen hat. Und dass er sich selten getraut hat, mich zu berühren. Vor allem, als ich nur den Bikini anhatte. „Ja, dann ... bringe ich dich in eurer Bad?", ich sehe zu meinem Bruder, der nickt und dann grinst: „Aber geht über mein Zimmer rein, Jes' ist die reinste Müllhalde." „Stimmt nicht, du Arsch", Jesper zeigt ihm den Mittelfinger und lacht, als Atlas ihn mit seiner Servierte abwirft und dann noch seine Stäbchen hinterher, als Jesper ausweicht. Kopfschüttelnd stehe ich auf und deute Vincent an, mitzukommen. Lächelnd folgt er mir in den Flur und schiebt sich die Hände in die Hosentaschen seiner Shorts. Im Flur schnappt er sich noch schnell seinen Rucksack und folgt mir dann in Atlas' Zimmer, in dem es angenehm kühl ist. Mein Bruder vergisst aber auch nie, den Rollladen rechtzeitig nach unten zu fahren und morgens zu lüften. „Findest du es schlimm?", fragt Vincent leise, als wir beide schweigen und ich die Tür zu dem großen Badezimmer aufstoße: Man sieht genau, welches Atlas' sauberes Waschbecken mit lauter Handcremes und Parfüms ist, während auf Jespers Becken ein haariger Kamm, Haargummis, Deo und offene Shampooflaschen stehen. „Was? Dass du duschen willst? Nein! Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich für dich angefühlt haben muss, zum ersten Mal nach Jahren wieder schwimmen zu gehen. Hast du das ... das hast du aber nicht meinetwegen gemacht, oder?", ich grinse ihn verlegen an und lehne mich in den Türrahmen; Vincent lehnt sich an die andere Seite und betrachtet mich mit einem nachdenklichen Grinsen: „Nicht nur. Auch für mich." „War es dir zu viel? Ich meine die Nacktheit von dir oder den Männern ... oder mir ... tut mir leid, dass ich nicht sofort daran gedacht habe und dich ein paar Mal angefasst habe", wispere ich und wippe nervös auf und ab. „Hails, du hast nur meine Schultern berührt. Oder meinen Arm. Das passt", erwidert Vincent schmunzelnd und lacht leise, als ich erröte und den Kopf in meiner Halsbeuge verberge. Ich weiß nicht, ob er damit andeuten will, wie sehr ich auf sein Sixpack oder auf seine khakifarbene Shorts mit den schwarzen Bändern gestarrt habe. Und vor allem weiß ich nicht, was peinlicher ist. „Es ist süß, wenn du errötest", brummt Vincent nur und stößt sich dann von der Tür ab, um einen großen Schritt auf mich zuzumachen. „Nein, es ist bescheuert. Ich sollte deswegen echt nicht rot werden. Wir sind alt genug und außerdem sind wir ...", ich verstumme und sehe Vincent tief in die Augen. Sie leuchten endlich lebendig. „Was sind wir, Hails?", flüstert Vincent heiser und greift nach meinen Fingern. Schluckend sehe ich ihn an und mache ebenfalls einen Schritt auf ihn zu, sodass unsere Füße sich berühren und ich mich nur auf die Zehenspitzen stellen müsste, um ihn zu küssen. „Verliebt?", höre ich mich heiser fragen und kralle mich an Vincents Fingern fest, als er schweigt und tief durchatmet. „Tut mir leid, das war zu schnell. Ich stresse dich total und steigere mich da rein. Damit meine ich nicht in die Gefühle, die habe ich, aber in das alles. In die Situation. In diese ganzen Emotionen. Dabei willst du einfach nur duschen und fühlst dich sicher unwohl, dreckig und verzweifelt, vielleicht auch gestresst mit heute ...", stammele ich und weiche hastig zurück, als hätte ich mich verbrannt. Ungläubig sieht Vincent mich an, greift nach meiner Hüfte und zieht mich an sich, um mich zu küssen. Es ist ein kurzer, aber fester Kuss. Einer, der mir Herzklopfen beschert und meine Knie weich werden lässt, der meine Fingerspitzen zittern lässt und der mir durch den Körper jagt. „Ich stimme dir zu, dass das hier nicht der richtige Ort ist, aber es ist nicht der falsche Zeitpunkt", raunt er gegen meinen Mund und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Also willst du erst duschen?", ich räuspere mich und lächele ihn an. Vincent nickt langsam und runzelt nachdenklich seine Stirn: „Und ich will das Gespräch nicht in einem Bad führen. Weder meinetwegen noch deinetwegen." „Du willst noch mehr dazu sagen?", höre ich mich viel zu hoch und aufgedreht an, woraufhin Vincent leise lacht und nickt: „Ich schätze schon?" „Ich auch", ich strahle ihn an, breiter als geplant, und reiße mich dann hastig los, um ihm ein dunkles Handtuch aus dem Schrank zu reichen. Hastig suche ich auch noch ein neutrales Duschgel raus, das ich in dem riesigen Schrank finde, und reiche es ihm, während er in seinem Rucksack wühlt und frische Klamotten auf einen Haufen wirft. „Dann treffen wir uns im Wohnzimmer?", schlägt er vor und drückt sich das Handtuch an den Brustkorb. Atemlos nicke ich und tänzele zur Tür: „Lass dir die Zeit, die du brauchst."

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