✔Kapitel 26

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Kapitel 26

"Muuuuum ... Muuuuum", schrie Harry, als er am Nachmittag durch die Haustür stürmte. Anne war gerade in der Küche, ließ jedoch alles stehen und liegen, als sie die aufgebrachte Stimme ihres Sohnes hörte. "Was ist los? Geht es dir gut?", fragte sie mit einem Hauch von Panik in der Stimme. "Ja, mir geht es gut ... ich muss dir was erzählen" Er packte die Hand seiner Mutter und zog sie auf die Couch.

"Heute ist etwas passiert." Anne ahnte nichts Gutes. Nach dem, was Harry ihr erzählt hatte, waren wohl viele Schüler der Schule nicht gerade nett zu ihrem Jungen.

"Louis ... also er ... er hat mich geküsst?" Harry sprach dieses Satz eher wie eine Frage aus. "Was meinst du damit, er hat dich geküsst?" Anne wusste natürlich, was dies bedeutete, doch konnte sie nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte. "Na ja, das, was ich gesagt habe. Er hat mich geküsst, auf den Mund. So wie die vielen Menschen im Fernseher es immer tun." Anne verstand die Welt nicht mehr, noch gestern hatte Louis ihren Sohn beleidigt und heute küsste er ihn? "Aber wieso? Ich dachte, er wäre gestern böse gewesen und hat schlechte Dinge über dich gesagt?" Harry nickte. "Ja, das hat er, aber er sagte, er meinte es nicht so." Ungläubig schüttelte Anne den Kopf. "Das glaub ich ihm nicht, solche Dinge sagt man nicht einfach so." Anne erhob sich und Harry schaute ihr verwirrt hinterher. "Mum, wo gehst du hin?" Sie reagierte nicht, lief einfach aus der Haustür. Harry sprang auf, um seiner Mutter zu folgen. "Mum, was machst du?", schrie er ihr hinterher, als er sah, dass sie geradewegs zum  Haus der Tomlinsons lief. "Niemand verletzt mein Baby und kommt dann einfach so davon", antwortete Anne und betätigte die Klingel des Hauses. Harry war mittlerweile bei ihr angekommen und versuchte sie, indem er an ihren Arm zog, davon abzuhalten. "Bitte, Mum, komm wieder zurück", flehte er, doch Anne schüttelte nur mit dem Kopf. Seufzend ließ er von ihr ab und wartete darauf, was passierte.

Die Tür öffnete sich und eine Frau mittleren Alters schaute sie erst verwirrt und dann lächelnd an. "Hallo, Sie sind die Nachbarn, richtig?" Anne war kurz von der Freundlichkeit dieser Frau abgelenkt, bevor sie sich räusperte und fortfuhr. "Ja richtig, wir wohnen im Haus nebenan. Mein Name ist Anne." Harrys Mutter hielt ihr die Hand hin, welche ihr Gegenüber freudig entgegennahm. "Freut mich, Anne, ich bin Jay. Möchten Sie vielleicht reinkommen?" Jay öffnete die Tür ein Stück und bedeutete damit, dass Harry und seine Mutter eintreten konnten. Anne nahm die Einladung dankend an, während Harry erst noch seinem Ritual nachkam und bis fünf zählte. Jay schien kurz verwundert, sagte aber nichts. Sie führte die beiden in ihr Wohnzimmer, welches mit weißen Möbeln modern eingerichtet war. "Möchtet ihr vielleicht etwas trinken? Kaffee, Tee oder Wasser?" Beide schüttelten den Kopf, denn Anne hatte nicht vor lange zu bleiben, auch wenn Jay ihr sehr sympathisch schien. "Jay, es tut mir leid, dass wir nicht aus einem angenehmeren Grund hier sind, aber ich wollte gern mit Ihrem Sohn sprechen." Jay schaute erstaunt zu Anne. "Louis? Hat er etwas angestellt?" Anne schaute kurz zu Harry, der seinen Blick auf den Boden gerichtet hatte. Ihm gefiel diese ganze Situationen gar nicht. "Kann man so sagen. Ist er denn da?" Jay schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf ihren Bauch. Erst jetzt bemerkte Anne die leichte Wölbung. "Glückwunsch", sagte Anne und erntete erneut verwirrte Blicke. Anne deutete mit einer Geste auf Jays Bauch, welche anfing zu strahlen. "Danke. Wir mussten extra umziehen deswegen. Geplant war eins, aber es werden Zwillinge und das alte Haus war eindeutig zu klein." Anne kicherte, bevor sie wieder anfing zu sprechen. "Wissen Sie, mein Sohn ...", sie deutete auf Harry, "wurde von Louis beleidigt. Ich denke, Louis ist eigentlich ein wirklich netter Junge. Zumindest habe ich ihn bis gestern immer nett und hilfsbereit erlebt. Und ich wollte einfach nur von ihm wissen, warum er Harry verletzt. Denn ich ging davon aus, dass die beiden Freunde sind." Jay seufzte. "Ich entschuldige mich für Louis. Niemand hat es verdient, schlecht behandelt zu werden. Ich werde mit ihm sprechen, versprochen."

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Haustür und ein lachender Louis, gefolgt von einem ebenso lachenden Niall, traten ins Haus. Harrys Körper spannte sich an, als er Niall sah. Er hatte schreckliche Angst vor ihm. Louis bemerkte Harry nicht, da er Niall gerade etwas erzählte. "Louis." Jays Stimme klang ernst, weswegen Louis seinen Blick sofort auf sie richtete. "Ja, Mum, wa... Harry?" Erstaunt schaute er zu Harry und dann zu Anne. "Hallo Anne, schön dass Sie hier sind." Louis bemerkte die strengen Blicke seiner und Harrys Mutter. Niall räusperte sich und sprach leise zu Louis. "Ich geh schon mal hoch in dein Zimmer." Louis nickte nur, während sein Blick noch immer auf den beiden Müttern hing. "Lou, Harrys Mutter ist zu uns gekommen, um mit dir zu sprechen, weil du ..." Louis unterbrach seine Mutter, als er einfach drauflossprach. "Es tut mir leid, dass ich ihn geküsst habe, ich wusste nicht, dass ich deswegen Schwierigkeiten bekomme. Anne, ich mag Harry wirklich und hoffe wirklich, dass Sie mir glauben." Anne musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Sie fand es schon süß, wie er versuchte sich aus einer Situation zu retten, die gar nicht das Problem war. "Ähm ... Lou", sprach nun Jay weiter, die ebenso schmunzeln musste. "Wir sprachen eigentlich darüber, dass du Harry beleidigt hast, und jetzt erfahre ich, dass du ihn geküsst hast?" Louis riss die Augen auf, bevor er seinen Kopf senkte. "Oh", nuschelte er nur und schien seine Schuhe wirklich interessant zu finden. Harry war diese ganze Situation mehr als unangenehm. Er fühlte sich nicht wohl. Er wollte nicht hier sein, wollte nicht, dass seine Mutter mit Louis sprach und wollte vor allem nicht mit Niall in einem Haus sitzen. "Mum, ich möchte gern gehen, bitte", flüsterte er Anne zu, welche ihn verständnisvoll anlächelte. "Harry Schatz, ich würde noch gern kurz mit Louis allein sprechen und danach gehen wir wieder nach Hause, okay?" Auch wenn Harry gar nicht damit einverstanden war, nickte er und Anne erhob sich.

Louis spürte, dass er Panik bekam, als er gemeinsam mit Anne in die Küche ging. Anne setzte sich auf einen Stuhl an den Küchentisch und deutete Louis sich ebenso zu setzen. Mit zitterndem Körper folgte er ihren Anweisungen. Er hatte Angst vor dem, was jetzt folgen würde. Würde sie ihn anschreien? Ihm verbieten, Harry wiederzusehen? Er würde nicht damit klarkommen, dafür mochte er Harry zu sehr.

"Also, Louis, der Grund, warum wir jetzt unter vier Augen sprechen ist, dass ich gerne eine Erklärung hätte, warum du Harry beleidigt hast", begann Anne zu sprechen und Louis schaute schuldbewusst auf seine Finger, die das Muster des Holztisches nachzeichneten. "Anne, es tut mir so leid, ich habe einen Fehler gemacht, ich hatte eine Gang in der Schule und diese brachten mich mit ihren Vorurteilen und ihren falschen Moralvorstellungen dazu, schlimme Dinge zu tun. Natürlich weiß ich, dass dies meine Tat nicht rechtfertigt, aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich solche Dinge nie wieder tun werde. Ich mag Harry. Ich habe ihn in der letzen Zeit kennengelernt und er ist einer der liebevollsten, wunderschönsten und aufrichtigsten Personen, die ich kenne. Er hat mir gezeigt, wer ich wirklich bin und wer ich in Zukunft sein möchte. Ich habe mich von der besagten Gang getrennt und bin froh, es endlich getan zu haben. Dort zählte nur Perfektionismus und Macht. Doch das will ich nicht mehr. Ich bin nicht perfekt, ebenso wie Harry, und genau das fasziniert mich an ihm. Ich möchte ihn noch besser kennenlernen, ihm zeigen, dass er wundervoll ist, auch wenn er das nicht versteht. Ich möchte ihm zeigen, dass er auch mit seiner Erkrankung ein schönes Leben führen kann. Ich weiß, dass Sie ebenso möchten, dass Harry sein Leben ganz normal lebt. Und ich verspreche, ich werde alles versuchen, um ihn dabei zu helfen. Sie müssen mich nur lassen."

Anne hatte Tränen in den Augen nach Louis' Vortrag. Nichts Sehnlicheres wünschte sie sich, als dass Harry ein für seine Verhältnisse normales Leben führen konnte. "Tue es, Louis, zeige ihm, wie schön das Leben da draußen sein kann. Er hat etwas Besseres verdient, als hier in Holmes Chapel festzustecken. Er soll raus und die Welt entdecken. Und wenn du denkst, du schaffst das, dann tue es. Wenn du denkst, du schaffst es mit seiner Erkrankung und seinen Zwängen klarzukommen, dann bitte, Louis, tue es. Wenn du vorhast eine Beziehung mit ihm einzugehen, dann musst du dir bewusst sein, dass es niemals eine normale Beziehung sein wird. Es wird mehr Hürden geben als in anderen Beziehungen. Ich weiß, dass Harry lieben kann, aber er hat es noch nie gesagt. Wenn du denkst, dass du damit klarkommst, dass er dir nie sagen wird, dass er dich liebt, dann tue es. Hilf ihm." Mittlerweile flossen Tränen über ihre Wange ebenso wie bei Louis. Er stand auf, lief um den Tisch und schloss Anne in eine feste Umarmung. "Das werde ich."

✔Asperger 1 - I'm not a Freak •|• Larry [In Überarbeitung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt