✔Kapitel 35

12.4K 1.1K 59
                                    

Kapitel 35

Gemeinsam betraten die drei Jungs den großen Saal. Er war bereits gut gefüllt, auch wenn die meisten Gesichter mehr als nur müde aussahen. Kein Wunder, der Großteil von ihnen hatten bis in die frühen Morgenstunden gefeiert oder gar nicht erst geschlafen. Louis ließ seinen Blick wie am Tag zuvor durch die Menge gleiten und hatte Liam schnell gefunden. Auch ihm sah man die Folgen der letzten Nacht mehr als deutlich an.

"Da ist Liam." Die beiden Jungs folgten seinem Blick und als Harry Liam fand, bekam er Panik. "Nein nein nein." Er lief einige Schritte zurück und die beiden anderen schauten ihn fragend an. "Was ist los, Harry? Stimmt etwas nicht?" Louis ging langsam auf Harry zu und wollte seine Hand auf Harrys Schulter legen, doch der stieß sie weg. "Liam sitzt nicht am richtigen Platz." Harry begann nervös an seinen Fingernägeln zu kauen. "Hey, ganz ruhig. Hier gibt es keine festen Sitzplätze." Harry schüttelte den Kopf. "I-ich will da nicht sitzen. Ich möchte da sitzen, wo wir gestern saßen." Louis schaute sich um und sah, dass der Platz, an dem sie am Vortag saßen, noch frei war. "Schau, Harry, der Platz ist noch frei. Wir setzen uns einfach dorthin und Liam wird sicher auch kommen." Harry nickte. "Wie wäre es, wenn du dir schon einmal was zum Frühstück holst, und dann kommst du zu uns, okay?" Harry nickte wieder und machte sich auf zum Buffet, wo er sofort auf das Rührei zusteuerte.

"Was ist denn los mit ihm?", fragte Niall leise, damit niemand ihn verstand. "Er mag keine Veränderung, er braucht seine Strukturen, verstehst du?" Niall nickte und schaute dann zu Harry. "Hör zu, Louis, ich finde Harry wirklich nett, aber willst du dir wirklich so viel Verantwortung aufbrummen? Ich meine ständig aufzupassen, dass alles so läuft, wie er das will. Das ist eine Menge Arbeit, findest du nicht?" Louis schüttelte mit dem Kopf. "Ich verstehe, was du meinst, und du hast recht, es ist nicht einfach. Es ist anstrengend, aber Harry hat eine liebevolle Seite an sich und die ist das allemal wert." Niall nickte. "Ich kann dich verstehen, aber ich weiß nicht. Er kommt mir manchmal so vor, als wäre er noch ein Kleinkind, kannst du überhaupt tiefgründige Gespräche mit ihm führen?" Noch bevor Louis antworten konnte, ließ ein Knall die beiden aufschrecken.

Sie drehten sich um und dort stand Harry mit Tränen in den Augen und sein Tablett lag auf dem Boden. "Harry..." Weiter kam Louis nicht, denn der Lockenkopf rannte bereits aus dem Saal. Sofort stand er auf und wollte hinterher. "Was ist denn passiert?", fragte Liam in die Runde und schien sichtlich verwirrt zu sein. "Frag Niall, ich muss zu Harry." Ohne eine Antwort abzuwarten, lief er los. Er rannte raus, konnte Harry aber nicht finden. "Harry?", rief er laut, aber bekam keine Antwort. "Harry", versuchte er es erneut und lief den Weg zurück zu ihrem Haus. Als er gerade an ein paar Häusern vorbeilief, blieb er stehen, als er jemanden auf dem Boden zwischen zwei Häusern sitzen sah.

"Harry?", rief er den dort Sitzenden und lief langsam auf ihn zu. "Geh weg." Louis seufzte, als er Harry weinend dort sitzen sah. Er lief auf ihn zu und hockte sich vor ihn hin. "Hey, Harry, nicht weinen. Niall hat das nicht böse gemeint." Harry schüttelte den Kopf. "Viele Menschen nennen mich ein Kind. Und es war immer böse gemeint. Sie lachen über mich und versuchen es nicht einmal zu verstecken. Aber weißt du was, Louis? Ich bin kein Kind. Ich weiß vielleicht vieles nicht und ich kann vieles einfach nicht verstehen. Ich möchte es verstehen, aber ich kann es nicht. Meine Mum sagt mir immer, dass sie mich liebt, aber ich sage es ihr nie, weil ich nicht weiß, ob ich sie liebe. Ich weiß, dass ich es sollte, aber ich weiß nicht, was Liebe ist, Louis, ich weiß, es ist etwas Schönes, aber ich verstehe es nicht. Meine Mum sagt auch, dass ich lieben kann, aber warum erkenne ich Liebe dann nicht? Ich möchte wissen, was Liebe ist, wie ich sie erkenne, aber ich schaffe es nicht. Die Leute sagen oft zu mir, ich wäre dumm und zurückgeblieben, aber ich bin keines von beiden. Ich bin kein dummes Kind." Bei seinen letzten Worten fing er wieder an zu schluchzen. Louis legte seine Arme um ihn und drückte den weinenden Jungen an sich. "Natürlich bist du nicht dumm oder zurückgeblieben, Harry. Und auch kein Kind. Ich werde versuchen dir zu zeigen, was Liebe ist, okay? Ich werde es dir so erklären und zeigen, dass du es verstehst." Harry schluchzte erneut. "Liebst du mich auch?" Louis lächelte, er würde es ihm jetzt sagen. "Ja ... Ja, ich liebe dich, Harry. Und ich weiß auch, dass du mir vielleicht niemals dasselbe sagen kannst, aber weißt du, das ist okay für mich. Du musst es mir nicht sagen, das ist nicht nötig. Ich erkenne es daran, wie dein Körper auf mich reagiert, dein Körper sagt es mir und das ist genauso schön wie ein ‚Ich liebe dich' aus deinem Mund." Harry lächelte leicht. "Was sagt mein Körper denn?" Louis zwinkerte Harry zu. "Ich denke, er mag mich ... ein bisschen zumindest." Harry nickte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und seufzte. "Kannst du ... kannst du mich küssen, Louis?" Louis' Augen strahlten, noch nie zuvor hatte Harry ihn darum gebeten. Sein Herz schien Purzelbäume zu schlagen. "Ich würde dich sehr gerne küssen."

*

"Da seid ihr ja wieder." Niall schaute die beiden Jungs an, die sich gerade wieder an den Tisch setzten. Harry sagte kein Wort, er schaute nur auf den Tisch vor sich.

"Harry, hör zu, es tut mir leid, okay? Ich hab das nicht so gemeint. Du bist wirklich nett und ich kann dich gut leiden, aber ich kenne mich mit diesem Asperger Ding noch nicht aus. Bitte verzeih mir, wenn ich etwas Unangebrachtes gesagt habe." Entschuldigend sah Niall den Lockenkopf an, der nickte. Zufrieden lächelte Niall und streckte Harry die Hand hin. "Vergessen?" Harry schaute unsicher auf Nialls Hand. Er wollte ihm nicht seine Hand reichen. "Ich möchte dich nicht anfassen." Niall zog die Augenbrauen nach oben und zog seine Hand zurück. "Okay", antwortete er und bevor es drohte wieder zu eskalieren, wechselte Louis das Thema. "Harry, lass uns was zu essen holen." Harry stimmte zu und begab sich zum Buffet, zum zweiten Mal an diesem Morgen.

✔Asperger 1 - I'm not a Freak •|• Larry [In Überarbeitung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt