Eisiges Schweigen

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„Hast du schon von der neuen Austauschschülerin gehört?" Ron stieß Harry leicht in die Seite, als sie den Gemeinschaftsraum betraten. Harry hob den Kopf und blinzelte, überrascht von Rons plötzlicher Frage. „Austauschschülerin? Seit wann haben wir welche?"

„Seit heute", mischte sich Hermine ein, ohne von ihrem Buch aufzusehen. „Sie kommt aus Durmstrang. Es ist ziemlich ungewöhnlich, jemanden von dort zu uns zu schicken." Ihre Stimme war kühl und sachlich, doch Harry konnte spüren, dass auch sie die Sache nicht ganz einordnen konnte.

Harrys Stirn legte sich in Falten. „Kommt sie wirklich aus Durmstrang? Oder steckt etwas anderes dahinter?"

„Du machst dir wieder zu viele Sorgen", sagte Ron unbekümmert, während er sich in einen der bequemen Sessel fallen ließ. „Vielleicht ist sie nett. Lass uns doch erstmal abwarten."

Harry versuchte Rons Worte ernst zu nehmen, aber das mulmige Gefühl in seinem Magen verschwand nicht. Etwas stimmte nicht. Seit Jessicas plötzlichem Verschwinden hatte er jede Nacht schlecht geschlafen, und jetzt... jetzt tauchte diese „Austauschschülerin" auf. Es war ein seltsamer Zufall, den er nicht ignorieren konnte. Etwas an der ganzen Situation ließ ihn nicht los, als ob sie auf eine unsichtbare Weise verbunden wäre.

In diesem Moment betrat Jessica die Große Halle, ihren Durmstrang-Umhang eng um die Schultern geschlungen. Der Tarnzauber, den Snape auf sie gelegt hatte, hielt. Ihr Gesicht, ihre Gestalt, sogar ihre Stimme waren verändert. Sie war nicht mehr die Jessica, die Hogwarts verlassen hatte. Jetzt war sie jemand anderes – jemand, den niemand erkennen würde. Ihr Herz hämmerte, während sie den Raum überflog und dabei versuchte, die Unsicherheit in sich zu unterdrücken.

Als ihr Blick auf Harry fiel, der mit gesenktem Kopf am Gryffindor-Tisch saß, stockte ihr für einen Moment der Atem. Er sah so anders aus. Vielleicht war es der Schmerz ihres Verschwindens, der ihn reifer gemacht hatte. Sein Lächeln, das sie immer aufmuntern konnte, war verschwunden, und seine Augen wirkten dunkler, tiefer. Es schmerzte, ihn so zu sehen, vor allem weil sie nicht diejenige sein konnte, die ihm erklärte, warum sie verschwunden war.

Und dann sah er auf.

Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Ihre Blicke trafen sich, und Jessica spürte ein Flackern von Vertrautheit in seinen Augen. Doch es war flüchtig, und Harry schüttelte leicht den Kopf, als ob er sich einbildete, was er gesehen hatte. Unwissend, wer sie wirklich war, wandte er sich ab und widmete sich wieder seinem Gespräch mit Ron und Hermine.

Jessica spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. Die Welle der Sehnsucht und des Schmerzes war überwältigend, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Es war besser so, redete sie sich ein. Niemand durfte wissen, dass sie zurück war – nicht einmal Harry. Mit schweren Schritten drehte sie sich um und verließ die Halle, während sie die Tränen, die in ihren Augen brannten, hinunterkämpfte.

Später saß Jessica allein auf ihrem Bett im Schlafsaal. Die anderen Austauschschülerinnen von Durmstrang schliefen bereits, doch die Stille der Nacht brachte keine Ruhe in ihren Gedanken. Die Kälte kroch langsam unter ihre Decke, doch es war die Einsamkeit, die sie frösteln ließ. Sie konnte das leise Atmen der Mädchen um sie herum hören, aber ihre Gedanken waren bei denjenigen, die sie nicht mehr sehen konnte – bei Harry, Hermine und Ron.

Im Schatten der Vorhänge erschien plötzlich eine vertraute Gestalt. Theodore Nott saß in einem Sessel nahe ihrem Bett, seine Augen aufmerksam auf sie gerichtet. Er war der Einzige, der ihre wahre Identität kannte, der sie in dieser ganzen Situation verstand. „Wie fühlst du dich?", fragte er leise und beobachtete sie genau.

Jessica seufzte und sah aus dem Fenster. „Wie ein Geist", antwortete sie ehrlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Niemand weiß, wer ich wirklich bin. Nicht einmal meine Freunde." Die Wahrheit lastete schwer auf ihr. Wie lange würde sie das noch durchhalten?

Nott schwieg eine Weile, seine Augen blieben auf ihr, als ob er nach den richtigen Worten suchte. Schließlich stand er auf und trat näher zu ihr. „Das wird nicht ewig so bleiben. Aber für jetzt... ist es das Sicherste." Seine Stimme klang ruhig, fast beruhigend, doch sie spürte auch die Anspannung in ihm.

Jessica sah ihn an, und ihr wurde klar, dass sich so vieles zwischen ihnen verändert hatte. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie sich nicht vorstellen können, dass Theodore Nott jemand sein könnte, dem sie vertrauen würde. Aber jetzt... war er der Einzige, der ihr die Wahrheit sagte, der an ihrer Seite stand.

„Danke, Theo", flüsterte sie schließlich. Ihre Worte trugen die Schwere der Dankbarkeit in sich, aber auch die unausgesprochene Angst vor dem, was noch kommen würde.

Theodore hielt inne, seine Augen trafen ihre, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. „Ich habe dir das schon mal gesagt, Jess", sagte er leise, aber eindringlich. „Ich werde dich nicht verraten." Seine Worte waren wie ein Schwur, der zwischen ihnen lag.

Jessica wollte ihm glauben. Doch Vertrauen war in diesen Zeiten ein gefährliches Spiel. Und sie wusste, dass ihre Freundschaft mit ihm genauso leicht zerbrechen konnte, wie sie entstanden war.

„Harry wird es herausfinden", murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. „Er wird es wissen." Ihre Stimme zitterte leicht, als sie diese unausweichliche Wahrheit aussprach.

Nott nickte, doch er sagte nichts weiter. Stattdessen legte er ihr sanft eine Hand auf die Schulter, ein Moment, der länger dauerte, als er wahrscheinlich sollte. Dann drehte er sich um und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Jessica blieb allein zurück, in der Dunkelheit, die ihr immer mehr zur Last wurde.

-

In der Ferne, irgendwo in den Tiefen der Verliese von Hogwarts, flammte ein dunkler Zauber auf. Der Verräter innerhalb der Schule hatte begonnen, seine nächste Bewegung zu planen – und Jessica war der Schlüssel zu seinem Vorhaben.

Theodore Nott - Sie gehört zu mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt