Glücklich schließe ich die Haustür hinter mir. Heute geht es wieder in die Bar und ich denke, es wird mir guttun, endlich unter Leute zu kommen. Die Bar ist etwas voller als sonst. Das liegt an den Studierenden, die anscheinend nicht lernen müssen. Die lockere Stimmung entspannt mich tatsächlich. Die letzten Tage waren dann doch sehr eintönig. Beschwingt erledige ich meine Arbeit. Die Zeit vergeht wie im Flug und viel schneller als erwartet ist meine Schicht zu Ende.
Etwas durchgeschwitzt trete ich hinaus in die angenehme Nachtluft. Die Sonne ist gerade untergegangen und ihre letzten Strahlen malen den Himmel violett. Ich lasse meinen Blick Gedankenverloren schweifen, während ich meine Kopfhörer aus der Tasche krame. Abrupt halte ich in meiner Bewegung inne, als ich eine Gestalt auf der anderen Straßenseite wahrnehme. Sie ist groß und trägt lange braune Haare in einem losen Zopf. Es dauert einem Moment, bis meine Augen Hannes im Halbdunkel erkennen. Als er auf mich zukommt, erkenne ich, dass er ein graues T-Shirt trägt, auf dem in verzerrten Buchstaben Dirty Socks steht. Mit langen Schritten und einem breiten Lächeln kommt Hannes auf mich zu, während ich wie fest gefroren vor der Bar stehe. Gott muss ich dämlich aussehen. "Was machst du denn hier?", frage ich und breche aus meiner Starre aus. "Ich hab auf dich gewartet.", erwidert Hannes, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wie lange steht er schon hier? Auch wenn ich sichtlich verwirrt bin, fühle ich mich geschmeichelt. "Äh, cool, danke.", stammle ich. "Kein Ding.", Hannes kann sich sein Grinsen nicht vom Gesicht wischen. "Und was machen wir jetzt?", Hannes wippt auf seinen Fußballen auf und ab. Nun vollends verwirrt blicke ich zu ihm hoch. "Woher soll ich das wissen? Du hast mich doch unerwartet abgeholt.", fahre ich ihn an. In Abendlicht sieht er unheimlich gut aus und ich komme nicht mit dem Chaos in meinem Kopf klar. "Sorry.", Hannes zuckt mit den Schultern, " so weit hab ich nicht geplant." Lachend schüttle ich meinen Kopf: "Wie weit hast du denn geplant?" Er kratzt sich am Kopf, dann sieht er wie ertappt auf den Boden: "Ehrlich gesagt, wollte ich nur dein niedliches Gesicht sehen, wenn du mich erkennst." Himmel! Er ist so süß, dass ich ihn am liebsten sofort geküsst hätte. "Ich hoffe, du hast es deutlich gesehen. So überrascht war ich schon lange nicht mehr. Aber was mach ich jetzt mit dir?" Seine Augen suchen meine und mir wird ganz warm. "Naja ich könnte dich ein Stück nach Hause begleiten, wenn du magst.", schlägt er vor. "Na dann.", ich wende mich nach links und laufe los.
Wir laufen schweigend nebeneinanderher. Hannes hat seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben und schielt immer wieder zu mir rüber. Ich find es ja super süß von ihm, dass er mich abgeholt hat, aber ich werde nicht gerne überrascht. Spontan ist nicht so mein Ding. Das Schweigen zieht sich. Ich halte es nicht mehr aus und frage: "Was ist das eigentlich für ein T-Shirt?" Verdutzt sieht Hannes an sich runter, dann wird er rot. Jetzt bin ich erst recht neugierig. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich zu ihm hoch. "Ich hab voll vergessen, dass ich das an hab. Ich war viel zu aufgeregt, dich zu sehen." "Hey! Es wird nicht abgelenkt.", sage ich. Abwehrend hebt er die Hände: "Hätte ja klappen können. Dirty Socks sind eine Band." Skeptisch sehe ich ihn an: "Eine Band?" "Genau genommen ist es meine Band." Hannes spielt ihn einer Band. Sofort rollen Bilder in meinen Kopf. Hannes auf der Bühne mit offenen Haaren wie er in ein Mikro brüllt. Als er sein Shirt auszieht, um es in die Menge zu werfen, schüttle ich die Gedanken weg. "Du spielst in einer Band?" Diese Frage ist so dumm, dass ich sie am liebsten wieder runtergeschluckt hätte. "Naja eigentlich waren wir ursprünglich ein Musikprojekt, aber dann hatten wir einen lustigen Namen und einem dummen Spruch und haben einfach weiter gemacht." "Was denn für einen dummen Spruch?", frage ich. Wortlos beschleunigt Hannes seine Schritte und zeigt mir seinen Rücken. In ebenfalls verzerrten Buchstaben steht dort: We are Dirty! We don't match! We are Socks! Ich bewundere noch einen Moment seine breiten Schultern, dann kommentiere ich: "Also ich find es kreativ." Hannes dreht sich um und läuft rückwärts vor mir her. "Danke." Irgendwann während wir uns unterhalten haben, sind die Straßenlaternen angegangen. Das orangene Licht zeichnet sein Gesicht in weichen Zügen und für einen Augenblick verlieren wir uns im Anblick des anderen.
"Vorsicht!", kann ich Hannes gerade so vor dem Pfosten der Haltestelle warnen. Zuckend bleibt er rechtzeitig stehen. "Hier muss ich einsteigen.", ich recke meinen Hals und kann sogar schon die Lichter meines Busses sehen, "Das ist meiner." "Oh, ok", Hannes wirkt nervös. "Danke für das Abholen." "Ach kein Ding." Der Bus hält und die Türen öffnen sich. "Gute Nacht", ruft er mir hinterher und ich winke zum Abschied. Im Bus laufe ich sofort nach hinten, um die Haltestelle zu sehen. Hannes rauft sich die Haare, während er in der Rückscheibe immer kleiner wird. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich ihn gar nicht gefragt habe, was für ein Instrument er spielt.
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Von Kellner zu Kellner
RomanceTim hat einen dämlichen Wunsch, nämlich, dass sein Traummann eines Tages durch die Tür der Gaybar kommt, in der er kellnert. Eventuell könnt es ja Hannes sein, der in genau dieser Gaybar von einem Typen sitzen gelassen wird. Als Tim dann auch noch M...