"Wie siehst du denn aus?", begrüße ich Linda, als ich zu ihr ins Auto steige. Sie trägt ein schwarzes Top ohne Ärmel und eine ziemlich zerfressene Hotpants, aber das Auffälligste sind ihre dunkel geschminkten Augen. Außerdem trägt sie schwarzen Lippenstift. "Gefällt's dir? Ich hab Leo sofort ein Bild geschickt, als ich fertig gestylt war. Soll der sich bloß schon ärgern, dass er jetzt nicht bei mir ist." Ich muss schmunzeln. "Meinst du nicht, dass du ein Wenig übertreibst." Ich habe mich darauf beschränkt einfach nur schwarz anzuziehen. Das schien mir das Einfachste. "Im Gegenteil, du untertreibst." kontert Linda keck. Sie kramt in ihrem Handschuhfach und holt einen Lippenstift hervor. "Na wie sieht's aus?" Ich muss ihren Eifer sofort unterbrechen, sonst komme ich noch mit gefärbten Haaren nach Hause. "Du weißt doch, ich mag kein Makeup und jetzt fahr los, sonst können wir das Gegröle nur von draußen hören." Sie zuckt nur mit den Schultern und gibt Gas.
Es haben sich schon einige Menschen im und um den Späti verteilt. In einer Ecke neben dem Wareneingang ist eine kleine Bühne aufgebaut, wobei das schon eine Übertreibung ist. Das Schlagzeug und das Keyboard sind bereits aufgebaut, nur die Gitarre fehlt noch. Wir drängeln uns etwas näher heran und glücklicherweise sind hier einige Mädchen so angezogen wie Linda, sodass es gar nicht auffällt. Die Dirty Socks kommen mit erhobenen Armen aus dem Wareneingang und die Menge beginnt zu johlen. Linda steigt sofort ein, als wäre sie schon ewig ein Fan. Ohne anfängliche Worte steckt Hannes seine E-Gitarre an den Amplifier und der erste Song beginnt. Wenn ich mich nicht irre, ist es der dritt oder viert beliebteste. Die Hardcore Fans grölen mit, als der Keyboarder anfängt zu singen. Ich kann den Gedanken nicht verscheuchen, dass es wahrscheinlich nur der Rest des Musikkurses ist. Nach dem Song ergreift der Keyboarder das Wort und haut die üblichen Konzertphrasen raus. Bevor der nächste Song beginnt, fügt er hinzu: "Ach ja, wir sind arme Studenten, also kauft unsern Merch bei der heißen Lady an der Kasse. Danke Babe.", er zwinkert dem Mädchen an der Kasse zu. Drei Kerle, die sich gerade noch lautstark mit ihr unterhalten haben, halten nun die Klappe. Sie selbst trägt ein Crop Top mit dem Dirty Socks Logo drauf. Ich nehme an, dass es eigentlich mal ein T-Shirt war, aber sie hat es so abgeschnitten, dass sie es bauchfrei tragen kann. "Och verdammt, sie hat mein Outfit voll getoppt.", beschwert sich Linda in mein Ohr, während die Menge um uns herum zur Musik hüpft. Soweit ich das beurteilen kann, sind die Dirty Socks recht gut. Die Leute hier haben Spaß und jedes Bandmitglied scheint seinen eigenen kleinen Fanklub zu haben.
"So Leute wollt ihr 'nen neuen Song hören?!", fragt der Keyboarder in die Menge. Die Antwort ist zustimmendes Geschrei. Ich sehe das Hannes den Kopf schüttelt. Bis jetzt habe ich mich immer hinter Linda versteckt, wenn er sich suchend umgesehen hat. "Sieht so aus, als müssten wir Hannes ein wenig motivieren.", der Keyboarder grinst breit, während Hannes weiter lachend den Kopf schüttelt. "Mach 'nen Trommelwirbel Fred und ihr alle brüllt so laut ihr könnt.", fordert er uns auf. Die Menge ist belustigt und jubelt und schreit. "Hannes, Hannes, Hannes!", klingt es einstimmig. Dieser hebt ergeben die Hände und richtet sein Mikrofon. "Ich hoffe ihr habt euch das gut überlegt. Wir übernehmen keine Haftung für blutende Ohren.", scherzt er in das Mikrofon. "Stell dich nicht so an, wir wissen, dass du singen kannst.", brüllt eine Frauenstimme aus der Menge. Hannes sieht zum Schlagzeuger und nickt ihm zu. Die ersten Takte werden gespielt und die Menge wird leise. Ich habe einen sehr guten Blick auf Hannes, wie seine Finger über die Seiten tanzen und er mir mit seiner Stimme Gänsehaut verpasst. Er kann gut singen. Seine Augen streifen über die Menge und finden mich. Da ist es, dieses Strahlen aus dem Instagramm Foto. Ich kann nicht anders und lächle ihn an und er lächelt zurück. Ich spüre Lindas Ellenbogen in meiner Seite: "Sag ich doch, dass du den Gitarristen feierst." "Ach halt doch die Klappe.", gebe ich zurück. Der Moment ist zu cool, als dass ich ihn mir von Linda versauen lasse.
Lachend und heiser verlassen die Leute den Späti. Die meisten noch mit einem Wegbier in der Hand. Linda hat mich kurz allein gelassen, um mit Leo zu telefonieren. Sie steht im Licht einer Straßenlaterne und redet kichernd in ihr Handy. Es wundert mich, dass Leo um diese Zeit überhaupt ans Handy gegangen ist. Ich habe mich etwas abseits an einen Baum gelehnt, der zum Schutz gegen die parkenden Autos mit einem kleinen Zaun versehen ist. Ein durchgeschwitzter Schatten tritt aus dem hellen Ladeneingang. Er dreht seinen Kopf suchend umher, ehe er mich erblickt. "Cool das du gekommen bist." seine Stimme ist etwas kratzig. Ich deute auf die andere Straßenseite, wo Linda sich gerade um den Laternenpfahl dreht. "Sie hat mich überredet." Hannes hebt eine Augenbraue. "Vielleicht sollte ich mich bei ihr bedanken. Immerhin hat sie mir deine Nummer gesteckt." Ich lehne meinen Kopf nach hinten. "Ja das hat sie. Linda hält mein Leben echt auf Trapp." Hannes muss lachen. "Ich hoffe, du hast es nicht bereut heute hier zu ein." "Das nicht, aber ihr seid ganz schon laut.", ich massiere meine Ohren. Hannes kratzt sich am Hinterkopf, seine Haare sind zu einem schlusigen Dutt nach oben gebunden. "Dein erster Späti Gig?", fragt er mich. Ich nicke und deute auf sein durchgeschwitztes Shirt. "Hätte nicht gedacht, dass ihr die verkauft." "War Georgs Idee. Seine Freundin meinte, es wäre ganz einfach sowas zu organisieren. War es tatsächlich auch. Hast du dir eins geholt?", seine Augen suchen mich nach Merch ab. "Ne.", ich schüttle grinsend den Kopf. "Ich bin doch auch ein armer Student." Hannes überlegt einen Moment, dann drückt er mir sein Getränk in die Hand. "Nicht weglaufen.", bittet er mich und verschwindet wieder in den Späti.
Linda kommt auf mich zu geschlendert. "Wo ist er denn hin?", will sie wissen, als sie bei mir ankommt. Ich zucke mit den Schultern. "Hat er sich gefreut, dass du da bist?" Ich zucke erneut mit den Schultern. "Denke schon." Sie setzt ihren tadelnden Blick auf, aber bevor sie mir eine Predigt halten kann, taucht Hannes Schatten wieder in der Tür auf. In seiner Hand trägt er etwas viereckiges. "Oh Hi", er steckt Linda die Hand entgegen, "Ich bin Hannes, danke für Tims Nummer." "Linda, das ist Hannes der große Kellner, Hannes, das ist Linda meine beste Freundin.", stelle ich die beiden amüsiert vor. Sie schütteln sich die Hände und ich muss schmunzelnd feststellen, dass sie beide gleich groß sind. "Schön, dass wir uns mal live sehen.", sagt Linda schelmisch, "Was hast du da?" Hannes hält mir das viereckige Ding hin. Es ist eins der T-Shirts. "Es waren nicht mehr viele da, ich hoffe es passt.", erklärt er entschuldigend. Im Halbdunkel kann ich nicht erkennen, was es für eine Größe ist. "Wird schon passen.", erwidere ich und krame nach meinem Portemonnaie. Hannes hebt abwehrend die Hände: "Ich nehm kein Geld von einem armen Studenten. Ist ein Geschenk." Linda grinst verschmitzt. „Los zieh es an.", fordert sie mich auf. „Jetzt gleich hier?", ich sehe sie fassungslos an. „Natürlich hier, du hast gerade Merch von einem Bandmitglied auf einem Gig bekommen, wann solltest du es denn sonst anziehen.", erklärt sie motiviert. Hilfesuchend wende ich mich an Hannes. Er kratzt sich grinsend am Hinterkopf: „So langsam verstehe ich, wie sie dich überredet hat. Ihre Logik ist unbestechlich." Ich schüttle den Kopf: „Nicht du auch noch." Nichtsdestotrotz reiße ich die Plastikverpackung auf und ziehe mir das T-Shirt über den Kopf. Es ist viel zu groß, sehr viel zu groß. Ich komme mir vor wie in einem Sack. „Das könntest du als Kleid tragen.", kommentiert Linda strahlend. Wenn mich nicht alles täuscht, ist Hannes bei diesem Kommentar rot geworden. Schwer zu sagen im Halbdunkel der Ladenaußenbeleuchtung. Ich ziehe das T-Shirt enger um meine Taille, zu meiner und Lindas Belustigung schnellt Hannes Blick sofort hoch zu den Sternen. „Sorry es gab nur noch das.", versucht er sich zu verteidigen. Linda lehnt sich gegen ihn: „Was hast du denn Hannes, es passt doch." Er traut sich nochmal zu mir zu sehen. Ich blinzle ihn an, während ich mich unschuldig auf der Stelle von links nach rechts wiege. „Gefällt dir euer Merch nicht?", frage ich stichelnd. Kurz ist da wieder das dümmliche Grinsen, was ich schon von der Party kenne. „Doch gefällt mir sehr gut." „Na dann behalt ich es gerne.", erwidere ich mit einem Grinsen. „Freut mich.", antwortet Hannes etwas verträumt. Linda greift meinen Arm. „So wir müssen jetzt gehen und du solltest dich um deine anderen Fans kümmern, die gucken schon ganz eifersüchtig.", sie nickt in Richtung von drei Mädchen, die zu uns rüber schauen. Ich werde rot, wie peinlich. „Äh ja klar", Hannes ist komplett überrumpelt von unserem Abgang. Als wir beim Auto angekommen sind, höre ich ihn rufen: „Und was ist mit dem Typen?" Doch bevor ich antworten kann, hat mich Linda bereits ins Auto geschupst.
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Von Kellner zu Kellner
RomanceTim hat einen dämlichen Wunsch, nämlich, dass sein Traummann eines Tages durch die Tür der Gaybar kommt, in der er kellnert. Eventuell könnt es ja Hannes sein, der in genau dieser Gaybar von einem Typen sitzen gelassen wird. Als Tim dann auch noch M...