Epilog

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Yes, terrible things happen, but sometimes those terrible things- they save you.


24. Oktober 2015

Irgendwo im Bundesstaat Nevada, USA


Ihre schwarzen, abgelaufenen Converse wirbelten bei jedem Schritt den feinen, rötlichen Wüstensand auf, den die Morgensonne zum Schillern brachte.

Obwohl es noch früher Morgen war, flimmerte das geteerte Straßenpflaster bereits unter dem brennenden Blick der Sonne. Einsamkeit umfing sie und jenen Ort, den sie durchwanderte, aber sie genoss die friedliche Stille. Sie bot ihr eine gewisse Zuflucht. Das Versprechen, in Ruhe nachdenken zu können.

In den letzten Monaten war das äußerlich recht unauffällige Mädchen viel mit sich selbst alleine gewesen, doch es war eine tiefe Befriedigung für sie. Endlich war sie aus der Klink entlassen worden, in die sie sie so lange gesperrt hatten. Viele Tage und Nächte waren dort vergangen. Tage und Nächte, in denen sie sich häufig gefragt hatte, was sie nun tun sollte. Sie war alleine gewesen, wie der einzige Mensch auf der Erde. Alleine und voller Schuld. Jeder Augenblick, jeder Atemzug war zunächst ein einziger, brennender Schmerz gewesen, bevor es nur noch manchmal wehtat und dann nur noch selten.

Für einen Augenblick blieb sie am Wegrand stehen, um sich den Schweiß aus der Stirn und vom Nasenrücken zu wischen. Die Sonne brannte ihr im Nacken und schien das Wasser aus ihrem Körper zu pressen, wie aus einem Schwamm.

Irgendwo in der Ferne näherte sich ihr ein Wagen. Das surrende Geräusch des Motors ließ sie herumfahren. Wie versteinert stand sie da und starrte es an, wie es durch den aufgewirbelten Staub stetig näher kam, nur um dann an ihr vorbeizurauschen, ohne sie zu beachten. Erleichtert atmete sie auf, während sie sich einen Schwachkopf schellte. Es geschah immer noch häufig, dass sie Angst bekam, oder durch laute Geräusche aufschreckte und ein ungutes Gefühl ihren schmalen Körper durchlief.

Das waren jene Augenblicke, in denen sie sich bewusst machen musste, dass sie nicht mehr weglaufen musste.

Mit einem Seufzen fuhr sie sich durch das kastanienbraune Haar, das ihr feucht in der Stirn klebte. Es war lang geworden in den letzten Monaten, reichte es ihr immerhin wieder bis knapp auf die Schultern.

Erneut fuhr sie durch die widerspenstigen Locken, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Wohin sie genau ging, wusste sie nicht. Sie hatte sich das Flugticket einfach gekauft, von dem Geld, das immer noch in dem etwas verblichenen Umschlag steckte. Dem einzigen Gegenstand, den sie noch bei sich gehabt hatte. Dem einzigen Erbstück, das ihr altes Leben ihr hinterlassen hatte.

Der Umschlag mit dem Geld, und noch etwas anderes. Etwas, das ihr eigentlich gar nicht gehörte. Vorsichtig tasteten ihre Finger nach dem fragilen Kettchen, das immer noch um ihren Hals baumelte. Zart stieß der silberne Anhänger gegen ihren Zeigefinger und sie fühlte sich lächeln. Oft waren ihre Hände über die vertraute Gravur gestrichen, hatten sie ertastet und sich daran festgehalten, wenn zufällige Wellen der Panik sie zu überrollen drohten. Mittlerweile kannte sie die Worte auswendig, die in das Schmuckstück graviert waren und dessen Träger jene untrügliche Botschaft übermittelten. Es war der Psalm 27, 14: „Sei stark, und mutig sei dein Herz."

Das Mädchen am Straßenrand, mit keinem genauen Ziel vor Augen und nicht mehr, als 275 Dollar in der Tasche- es war ihr einziger wirklicher Besitz. Und sie wusste nicht, warum, aber die Worte gaben ihr Zuversicht und Sicherheit. Vielleicht, weil es irgendwie auch seine Worte waren. Sie fühlte sich weniger allein, weil sie spüren konnte, dass ein Stückchen von ihm für immer bei ihr war. Gefangen in dieser schlichten, silbernen Halskette. Es war wie ein Versprechen, dass es wieder gut werden würde. Nach all der Zerstörung und der Gewalt, die so lange ihr Leben bestimmt hatten.

Your Voice in My Head (H.S.)Where stories live. Discover now