Kapitel 47

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Dastan fuhr schweigend zu seinem Haus, auch ich schwieg und schaute aus dem Fenster. Es gab nichts zum bereden. Er hatte gewonnen und ich hatte wieder einmal verloren.
Er sah mich als sein Besitz an und ich sah in ihn mein Traummann.
War das nicht eine Ironie des Schicksals?

Bei ihm angekommen, setzte ich mich ins Wohnzimmer und wartete auf Dastan, der mich, ohne ein Wort zusagen, alleine ließ. Ich sah mich im Wohnzimmer um und stellte fest, dass sich nichts verändert hatte. Für ihn gab es keine Veränderungen im Leben. Es musste alles so bleiben, wie es ist.
Er kam nach einigen Minuten mit einem Erste-Hilfe-Koffer rein und stellte diese auf den Tisch ab. Ich sah wie er sich schmerzvoll die Schulter ein-und ausrollte. Mit einem kleinen Schrei war ich auf den Beinen. Die ganze Zeit über vermied ich es ihn anzusehen, so vergaß ich seine Verletzungen vollkommen. Obwohl er schmerzen hatte, gab er die ganze Fahrt über kein Ton von sich. Ungewollt fiel mir Azad ein, der damals wie ein Kind aufschrie, als ich seine Wunde desinfizierte. Vielleicht hatte Dastan recht und Azad war ein Feigling.
Schnell warf ich ihn aus meinen Gedanken hinaus und lief auf Dastan zu, der immer noch mit dem Rücken zu mir stand.

"Dastan, ich muss dich verarzten. Setz dich hin! Bitte.", fügte ich schnell noch hinzu, als er sich durch meinen Aufschrei umdrehte.

Er sah mich undefinierbar an und setzte sich anschließend auf die Couch. Hastig öffnete ich den Koffer und nahm etwas Watte und das Desinfizierungsmittel raus. Das würde reichen, da seine Wunde nicht allzu schlimm aussah. Trotzdem tat es weh, sie zu sehen.
Ich kniete mich auf den Boden, sodass wir auf der selben Augenhöhe waren.

"Das kann jetzt etwas brennen", flüsterte ich und tupfte sanft seine Wunden ab. Kein einziges Mal zuckte er zusammen, sondern ließ mich meine Arbeit zu Ende führen.
Immer wieder pustete ich leicht gegen seine Wunde, um den Schmerz einigermaßen zu lindern. Als mir bewusst wurde, was ich da tat, stockte ich in meiner Arbeit. Unsicher sah ich Dastan an, der die Augen geschlossen hielt und schwer den Atem ausstieß.

"Fertig", sagte ich leise und sah ihn so lange an, bis er die Augen öffnete und ich ihm in die grünen Augen schauen konnte.

Mein Herz fing an rasend zuschlagen, meine Hände zitterten plötzlich. Ich sah nur diese wunderschönen Augen. Ich spürte seinen angenehm warmen Atem an meinem Gesicht. Wieder einmal realisierte ich, wie viel Macht er über mich besaß. Nur ein Wort von ihm und ich würde ihm erliegen.

Das war nicht richtig!

Unerwartet stand er auf und lief im Wohnzimmer auf und ab. Ich sah ihm schweigend zu und hielt immer noch die blutgetränkte Watte in der Hand.
Zögernd fing ich an alle Sachen in den Erste-Hilfe-Koffer einzupacken und überlegte fieberhaft, wie ich diese unerträgliche Stille zwischen uns brechen kann.
 
"Wann genau ist unsere Verlobungsfeier?", fragte ich.

Gleich drauf könnte ich mir gegen die Stirn klatschen. Eine bessere Frage hätte mir wirklich nicht einfallen lassen können!
Und doch habe ich mich nie getraut nach dem Datum zu fragen.
Es hätte eine Komödie gleichen können, mit dem Titel: Die Braut weiß selbst nicht, wann ihre Verlobungsfeier ist.

Dastan zog staunend die Brauen hoch und sah mich.. enttäuscht an? Nein, warum sollte er enttäuscht sein?
Schockiert passt eher!

"In einer Woche, den 08.05.
An deinem 20. Geburtstage.", teilte er mit und setzte sich wieder auf die Couch, nur nahm er die, die am weitesten von mir stand.

Erschrocken riß ich die Augen auf und versuchte das Gesagte zu verarbeiten.
Nächste Woche schon. Mein Geburtstag!  Auch meinen Geburtstag hatte ich vollkommen vergessen. Verwirrt nickte ich und stand auf.

"Kannst du mich nach Hause bringen?", fragte ich ihn und sah nur in die Ferne.

Eine Woche.
Nur noch eine Woche.
In einer Woche würde ich ihm gehören!
Ich würde bis dahin niemals schaffen ihn in mich zu verlieben.

"Warte, du musst erst einmal deine Wange kühlen.", sagte er und verließ das Zimmer, nur um mit einem Kühlpack wieder zukommen.
"Ich will meine Wange erst mit Make-up bedecken, damit Tante Rosi kein Verdacht schöpft.", berichtete ich ihm mit und eilte ins Bad.

Schnell machte ich mich frisch und ließ mich von Dastan nach Hause fahren. Er stellte den Motor ab und wartete bis ich ausstieg. Ich schwang gerade beide Beine aus dem Auto, als er mich plötzlich aufhielt. Irrentiert drehte ich mich zu ihm um und analysierte seine Mimik.
Lange sah er mich an, bis er endlich zu sprechen ansetzte.

"Es tut mir leid."

Verwirrt zog ich die Augen zusammen und sah ihn fragend an.
Er hob seine Hand und fuhr zögerlich über meine verletzte Wange.
Ich zuckte unkontrolliert zurück und sah, wie er augenblicklich die Hand senkte.

"Es ist nichts. Bis zur Verlobung wird die Schwellung zurück sein.", versuchte ich ihn, aber auch mich aufzumuntern.
Ohne ihn ein weiteres Mal anzuschauen stieg ich aus und lief ins Haus rein.

Zuhause duschte ich ausgiebig und legte mich erschöpft ins Bett.

In einer Woche schon.
In einer Woche würde ich offiziell mit ihm verlobt sein.

Für ein verliebtes Paar das Schönste, was es gibt. Doch für mich war es die reinste Qual jemanden zu lieben, der es nicht erwiderte.

Leise tapste ich zum Kleiderschrank und zog ein langes Smaragde grünes und hautenges Abendkleid raus.
Mein Verlobungskleid, dass die Farbe von Dastans Augen hatte. Eigenhändig von mir auserwählt.
Ein Schluchzen entriss sich plötzlich meiner Kehle.

Ich kann das nicht. Ich konnte keine lieblose Ehe führen. Ich konnte ihn und mich nicht unglücklich machen. Wenigstens einer von uns sollte seine wahre Liebe finden und das war leider nicht ich, sondern Dastan. Er sollte jemanden finden, den er über alles Liebe, so wie ich es tat.

Ich musste hier Weg, aber wie?
Was ist mit Opa und Tante Rosi?
Sollte ich eine lieblose Ehe für sie eingehen?

Hastig schüttelte ich den Kopf. Sie würden nur das beste für mich wollen. Entschlossen stand ich auf und wischte mir tapfer die Tränen aus dem Gesicht.

Ich würde von hier verschwinden und Dastan sein Glück lassen. Ich musste auch ihm die Chance geben zu lieben. Auch wenn ich nicht die Person bin, die er liebt.

Wieder schoss mir die Frage in den Kopf, wie ich es unbemerkt schaffen würde hier wegzukommen, ohne das es Dastan mitbekommt.

Unsere Verlobungsfeier!

Da würde ich eine Gelegenheit haben unbemerkt durch die Menge zu schlüpfen und wegzufahren. Nach Österreich. Dort würde ich sicherlich Hilfe von Onkel Anil bekommen.

Trotzdem brauchte ich hier Vorort Hilfe, damit nichts schief geht.

Hilfe von.

Naif.

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FROHES NEUJAHR MEINE
LIEBEN!! ♥

Herz aus Eis (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt