38. Anchor

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Jels Pov

Ich weiß, dass es Wahnsinn ist, was wir hier tun. Aber es ist auch unsere einzige Chance. Durchs Erdgeschoss können wir nicht durch, und das ist unser einziger Weg nach draußen. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, uns im obersten Stockwerk zu verstecken.

In Sicherheit sind wir nicht, aber es wird uns zumindest Zeit verschaffen. Harrowby und seine Leute werden denken, dass wir versuchen zu flüchten. Also werden sie entweder denken, wir hätten es nach draußen geschafft, oder sie suchen unten nach uns.

Aber wie viel Zeit uns wirklich noch bleibt, kann ich nicht sagen. Nicht nur wegen Harrowby und dem Krieg, der draußen tobt, sondern wegen Fineen. Ich kann praktisch von Minute zu Minute spüren, wie er in meinen Armen schwächer wird. Mit jedem Atemzug habe ich Angst, dass er gleich zusammen bricht.

Aber noch kann ich nichts für ihn tun. Wir sind auf einem Dachboden, es ist stockdunkel hier. Nur eine kleine Lampe erhellt unser Versteck hinter einem alten Schrank. Fenster gibt es keine, und selbst wenn es welche gäbe, draußen scheint die Sonne nicht. Wie ich eben gesehen habe, sind Wolken aufgezogen. Wir können nur abwarten.

„Fineen", sage ich leise. Er liegt da, die Augen geschlossen, den Kopf in meinen Schoß gelegt. Ich seufze verzweifelt und ziehe ihn näher an mich heran, umarme ihn. „Fineen, du musst durchhalten. Nicht mehr lange, du wirst sehen. Die Dämonen werden gewinnen, und dann werden sie uns hier rausholen."

Fineens Körper erzittert, er ist so schwach. Er öffnet den Mund, versucht Worte hervorzubringen. „A-Alvaro...", ist alles, was ich verstehe. Ich nicke und streiche ihm ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Er wird es schaffen. Er wird uns hier rausholen und dann könnt ihr nochmal von vorne anfangen, als Brüder. Er liebt dich so sehr, Fineen."

Ich sehe, wie er nickt, aber die Angst in seinen Augen ist deutlich. „A-aber Jel... wenn... wenn ich es nicht schaffe... dann sag ihm..." Ich schüttele den Kopf und lege einen Finger auf seine Lippen. „Nein. Sag es ihm selbst. Du wirst es schaffen."

„Aber...", hebt er wieder an, doch ich unterbreche ihn. „Nein, Fineen, ich glaube du verstehst nicht. Ich bin nicht in dieses Schloss eingebrochen, um zuzusehen, wie du deinen Willen verlierst. Ich bin hier, weil ich an dich glaube. Du wirst durchhalten, und wenn du aus irgendeiner Zelle das letzte bisschen Reserve an Sonnenschein ziehen musst, du schaffst das. Ich werde dich hier rausbringen, und du wirst dein volles Bewusstsein haben, verstanden? Du gibst nicht auf, nicht jetzt!"

Fineen nickt, und ich sehe, wie sich Tränen in seinen Augen sammeln. Ob er gerührt ist, oder ob ihm einfach alles zu viel wird, das kann ich nicht sagen. Aber in dem Moment ist es egal, ich halte ihn einfach fest, während er leise schluchzt.

In Wirklichkeit habe ich nicht so viel Hoffnung, wie ich es Fineen gerade vermittelt habe. Wir sitzen hier oben fest, abzuhauen scheint so gut wie unmöglich.

Wir können uns nur noch darauf verlassen, dass die Dämonen draußen gewinnen, eine andere Chance gibt es für uns nicht. Und so sitzen wir hier, ich mit einem schluchzenden Fineen im Arm, und warten.

Als die Tür geht erstarren wir beide. Fineen versucht panisch, sein Schluchzen unter Kontrolle zu bekommen. Ich lege ihm sanft eine Hand über den Mund und wir beide sitzen still da, versuchen so leise wie möglich zu lachen.

Schritte sind zu hören, der Boden knarzt leicht. Dann folgt ein gehässiges Lachen. Ein eiskalter Schauer fährt mir über den Rücken, als ich die Stimme erkenne. „Es macht keinen Sinn, sich zu verstecken. Ich kann Fineens Tränen riechen." Fineen und ich sehen uns aus großen Augen an. Daran haben wir beide nicht gedacht.

Schnell lehne ich mich hinunter und wische ihm die Tränen vom Gesicht. Gefunden sind wir sowieso schon, aber immerhin können wir noch verhindern, dass Fineen unter einer Tränenfolter leiden muss. Und gerade als ich die letzte Träne getrocknet habe, wird der alte Schrank zur Seite geschoben. Matteo Harrowby grinst uns an, hinter ihm zwei Engelssoldaten.

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