47. Lights Out

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Fineens Pov

Ich kann mich nicht mehr auf die Schlacht konzentrieren, Pünktchen tanzen vor meinen Augen wie wirbelnde Sterne, Engel und Dämonen sind nur noch weiße und bunte Flecken in diesem Gewirr. Ich bin am Leben, so viel kann ich spüren, ich atme, mein Herz pocht.

Aber es fühlt sich nicht real an, die Schreie um mich herum, das Klirren der Klingen, es ist so weit entfernt. Vielleicht fühlt man sich so, wenn man beinahe stirbt?

Ich hätte es getan und Alvaro hat das gewusst, eher wäre ich freiwillig auf diesen Scheiterhaufen gestiegen, als unser Volk zum niederknien zu zwingen. Doch Jel hat beides verhindert, glücklicherweise.

Alvaro kann das hier gewinnen, das weiß ich, das muss er. Das Kämpfen ist nie meine Stärke gewesen und Alvaro hat es auch nicht gerne getan, aber er hat Ricarda und Leandro gehorcht, also haben sie ihn zum Soldaten gemacht. Er ist gut in diesen Dingen, nicht wie ich.

Die Punkte vor meinen Augen formieren sich, bilden ein Gesicht, Lippen, die Worte formen. Und plötzlich werde ich zurückgeworfen, weit zurück aus diesem Schlachtfeld und zurück zu dem Ort, der nie mein Zuhause gewesen ist.

„Konzentriere dich, Alvaro! Das feindliche Heer steht hier. Wo musst du angreifen?" Alvaro legt den Kopf schief, und auch ich starre auf das Modell auf dem Tisch. Es ist eine Landschaftsdarstellung und an einer Stelle stehen viele kleine Soldaten, die wir angreifen sollen. Ich sehe jedoch keinen Unterschied darin, aus welcher Richtung der Angriff kommt.

Alvaro dagegen hat sofort eine Antwort parat: „Von hier." Er setzt den schwarzen Punkt an eine Stelle in der Landschaft. Ich runzele die Stirn. „Der Hügel und die Bäume geben uns Deckung", erklärt er und zeigt auf die entsprechenden Stellen. „Dank der Steigung des Hügels sehen sie uns erst spät kommen. An unserer Seite ist der Fluss, das heißt sie können uns nicht in die rechte Flanke fallen. Zwar könnten sie uns von der linken Flanke angreifen, allerdings riskieren sie damit, dass ihnen Männer aus der Stadt in den Rücken fallen, wenn diese sich zum Angriff entscheiden."

Leandro nickt und kippt die gegnerischen Soldaten um. „Gut. Ich sehe, du hast ein Talent dafür." Er wirft mir einen kurzen Blick zu, aber ich versuche so zu tun, als würde ich es nicht merken. Ich weiß selbst, dass ich es nicht einmal halb so gut könnte wie mein Bruder. Für mich sind Hügel Hügel, und Flüsse sind Flüsse. Leandro will zwar, dass ich bei Alvaros Lektionen dabei bin, aber nur damit bei mir vielleicht irgendetwas hängenbleibt. Er hat keine wirklichen Erwartungen an mich. Wozu auch?

Jetzt nickt er Alvaro zu. „Das ist genug für heute. Geh jetzt und mach deine Schläge." Alvaro seufzt. „Muss das jetzt sein? Ich dachte, Fin und ich könnten vorher..." „Jetzt!", unterbricht Leandro ihn streng. „Ich werde sehen, ob du gehorcht hast oder nicht." Und damit rauscht er aus dem Raum.

„Nicht sonderlich schwer, wenn man einen Zähler in einen Boxsack baut", meint Alvaro und schiebt mit einem heftigen Ruck seinen Stuhl zurück. Dann seufzt er aber und schüttelt den Kopf. „Komm, lass uns gehen, das gibt sonst wieder nur Ärger."

Auf dem Weg zur Halle sehe ich zu Alvaro hoch. Er ist ein ganzes Stück größer als ich. „Weißt du, du müsstest eigentlich nicht immer tun, was er will. Du bist stärker als er." Alvaro lacht, aber es klingt freudlos. „Es geht nicht immer um Stärke, Fin."

„Tut es doch", beharre ich. „Er wird dich höchstens anschreien und wütend sein. Aber er kann dir nicht wehtun, das würde er sich nicht trauen." Seufzend bleibt Alvaro stehen. Er streckt seine Hand aus und streicht über meine Wange, genau da, wo der Bluterguss noch immer in vielen Farben leuchtet. „Es gibt andere Arten mir wehzutun als mich zu schlagen, kleiner Bruder." Er zieht die Hand zurück. „Es ist besser, wenn ich tue, was er will. Mach du dir keine Gedanken. Ein paar Schläge gegen den Boxsack sind kein Weltuntergang." Den restlichen Weg zur Halle verbringen wir in Schweigen.

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