55. Brothers

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Als ich das Zimmer betrete, sitzt Fineen schon aufrecht in seinem Bett. Es ist ein Turmzimmer im obersten Stockwerk mit den größten Fenstern, die es in diesem Schloss gibt, damit Fineen über den Tag so viel Licht wie möglich bekommt.

Aber ihm ging es so schlecht, dass ich nichts riskiert und meine Angstellten damit beauftragt habe, eine große Vollspektrum-Lampe zu kaufen und aufzustellen. Diese geht nachts oder wenn das Wetter zu schlecht wird für ein paar Stunden an um zu verhindern, dass mein Bruder zu lange kein Licht bekommt.
Unter normalen Umständen sind die paar Stunden nachts ohne Licht überhaupt kein Problem, aber Fineen war jetzt so lange auf Entzug, dass sein Körper kein bisschen Überschuss mehr übrig hat.

"Alvaro." Er sieht schon sehr wach aus, aber die Folter der letzten Zeit hat ihn gezeichnet. Er hat violette Schatten unter seinen Augen und ist noch immer unnatürlich blass.
Ich bleibe ihm Türrahmen stehen. "Die Ärzte dachten, du würdest länger zum aufwachen brauchen."

Er versucht sich an einem Lächeln. "Wenn ich die Augen zu habe ist es dunkel. Das brauche ich gerade nicht länger als nötig."

Ich ertrage es kaum ihn anzusehen. Sein Gesicht erinnert mich an jede Sekunde, in der ich ihm weh getan habe, seine blauen Augen haben mich zu oft verständnislos und voll Schmerz angeschaut.

Ja, er hat mir vergeben. Aber zu dem Zeitpunkt dachten wir beide, er würde gleich sterben.
Das hier ist etwas anderes. Es sind nicht mehr verzweifelte Worte auf einem Schlachtfeld, keine emotionale Achterbahn.
Das hier ist distanziert, klar strukturiert, und es gibt keinen Kampf und keine Gefahr, die uns vergessen lässt. Wir müssen keine Angst haben, dass der andere gleich sterben könnte und das macht es viel realer, viel näher und was am schlimmsten ist: viel ehrlicher.

Unsere Gedanken sind klar und nichts aus der Vergangenheit ist vergessen. Dass er mir vergeben hat ist mehr im Affekt geschehen als dass er es wirklich so gemeint haben könnte.
Ich realisiere, dass ich meinem kleinen Bruder vermutlich nie wieder so nah sein werde wie während diesem Krieg, und das schmerzt. Das schmerzt ziemlich heftig.
Auf einmal ist da wieder diese Distanz zwischen uns und sie scheint unüberbrückbar.

Ich trete einen Schritt näher, aber bin noch immer nicht ganz im Raum drin. "Wie geht es dir?"
Fineen sieht an sich herab als wäre er sich da selbst nicht ganz sicher. "Besser, auf jeden Fall." Er pausiert kurz, dann schaut er wieder zu mir. "Warum hast du mir nie gesagt, was Lichtentzug für mich bedeutet?"

Eine gute Frage, wirklich. "Ich dachte nicht, dass es nötig wäre. Normalerweise hast du so viel Überschuss, dass es dir nie wirklich gefährlich werden kann. Das kann es nur auf langfristigen Komplettentzug, wie du jetzt gemerkt hast."
Ich habe ihm früher damit keine Sorgen machen wollen. Vielleicht war es dumm, ihm nichts davon zu sagen.

"Aber ich verstehe nicht..." Er versucht sich weiter aufzusetzen, zuckt allerdings dabei zusammen, die Bewegung scheint zu schmerzen. Ich trete einen weiteren Schritt heran. "Beweg dich nicht so viel. Dein Körper hat viel durchgemacht." Als ob er das selbst nicht wüsste.

Er seufzt und gibt die Versuche sich aufrechter hinzusetzen auf. Dann zeigt er auf den Stuhl, der neben seinem Bett steht. "Setz dich hin, bitte, es macht mich wahnsinnig wenn du da so rumstehst."

Etwas widerstrebend folge ich seinem Wunsch. Von Nahem kann ich jede Spur sehen, die die letzten Wochen auf seinem Körper hinterlassen haben. Jede Schramme, jeden Striemen, jeden Bluterguss. Es schnürt mir die Kehle zu. Jede dieser Wunden ist meine Schuld.

"Danke." Er sieht mich an, aber ich meide seinen Blick, betrachte lieber die Spuren an seinen Handgelenken, die die Ketten hinterlassen haben. "Ich verstehe noch immer nicht, was Harrowby von mir wollte", setzt Fineen erneut an. "Zuerst dachte ich, er würde mich nur langsam töten wollen, aber als der Hauptmann mich dann vor den Scheiterhaufen gezerrt hat, hat er auf einmal Einspruch erhoben."

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