Kapitel 19

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,,Naaa wie war die Party gestern? Du warst früh zu Hause, kann das sein?", gähnend ließ ich mich auf meinen Stuhl am Esstisch fallen und streckte mich ausgiebig. War ja klar, dass jetzt sofort das Verhör losging und vielleicht hätte ich da gar nicht so viel gegen gehabt, wenn der Abend nicht so gelaufen wäre, wie er gelaufen war. Noch dazu hatte ich die ganze Nacht nicht geschlafen und war jetzt dementsprechend fertig. Ich hatte meine Gedanken einfach nicht abstellen können, aber das ganze Nachdenken hatte mich auch nicht wirklich weitergebracht. Ich wusste noch immer nicht, warum er mich geküsst hatte und ich würde es wohl auch nicht erfahren, wenn ich ihn nicht fragte. Aber sollte ich jetzt wirklich zu ihm gehen und ihn dazu auffordern mir zu sagen, warum er das getan hatte? Ganz bestimmt nicht.
Viel lieber hätte ich den Kuss einfach nochmal wiederholt. Es klang vielleicht verrückt, aber ich hatte das Gefühl, dass ich seine weichen Lippen noch immer spüren konnte.
,,Ähh war ganz okay und ja, ich war früh zu Hause, aber...", scheiße, ich hatte mir noch keinen Grund für meine frühe Rückkehr einfallen lassen, weil ich irgendwie nicht damit gerechnet hatte, dass ich darauf angesprochen wurde. Jetzt trafen mich auch die fragenden Blicke meiner Schwester und meines Vaters, die ebenfalls am Frühstückstisch saßen.
,,Also Marco wollte so früh wieder gehen und ich war irgendwie müde, also bin ich mit ihm gefahren. Er hat auch nichts getrunken, also keine Sorge", ich war wirklich nicht die beste Lügnerin, aber meine Familie schien sich mit der Geschichte zufrieden zu geben und widmete sich wieder Kaffee, Brötchen und Co.
Auch ich hielt mich zunächst an Kaffee, denn was anderes hätte ich gerade absolut nicht runtergekriegt. Ich hatte keinen Hunger, ich konnte nicht schlafen, ich wollte auch eigentlich nicht reden und keine Gesellschaft. Kurz gesagt: Ich war richtig am Arsch und spätestens jetzt brauchte ich nicht mehr zu leugnen, dass ich verliebt war. Klar, ich kannte ihn noch nicht wirklich lange, aber das hieß doch nicht, dass ich keine Gefühle für ihn entwickeln konnte... Gott, versuchte ich mich jetzt schon vor mir selbst zu rechtfertigen? Das war echt armselig.

Nach meinem flüssigen Frühstück nahm ich erstmal eine ordentliche Dusche, bevor ich mich an meine Mathehausaufgaben setzte, aber wirklich konzentrieren konnte ich mich nicht. Ich saß vor dem karierten Papier, starrte auf die ungelösten Gleichungen vor mir, die mich förmlich anbettelten sie zu lösen, aber den Gefallen konnte ich ihnen heute nicht tun. Wer brauchte denn auch schon Kurvendiskussion? Meiner Meinung nach war das vollkommen überbewertet, doch meinen Lehrern war wohl egal, was ich davon hielt. Frustriert schmiss ich meinen Bleistift hin und fuhr mir durch die noch nassen Haare.
Ich fühlte mich einfach eigenartig. Ich war verwirrt und ich vermisste Celal. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte oder wie es weitergehen sollte. Gleichzeitig hatte ich Angst, verletzt zu werden, denn ein Kuss bedeutete nicht automatisch, dass er auch etwas für mich fühlte. Ich wollte es ja auch langsam angehen lassen. Es musste nicht sofort eine Beziehung sein, aber ich hätte ihn einfach gerne noch näher kennengelernt... und dann würde man schon sehen, wo das hinführte.
,,Halloooo", die laute, hohe Stimme meiner Schwester riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich aufblicken. Sie stand strahlend in der Tür, die sie jetzt hinter sich schloss, ehe sie sich rücklings auf mein Bett fallen ließ und sich erstmal ausgiebig streckte. Ich beobachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen, obwohl sie natürlich eine weitere, willkommene Ablenkung von meinen Hausaufgaben war. So drehte ich mich auf meinem Bürostuhl zu ihr und sah sie grinsen.
,,Was ist? War irgendwas in deinem Frühstück oder was?", wollte ich wissen, doch nun schüttelte sie den Kopf.
,,Nö, aber ich weiß, dass du gelogen hast"
,,Was?"
,,Du bist nicht mit Marco nach Hause gefahren, denn der setzt dich immer vor der Tür ab, aber da war kein Auto, was heißt, dass du ein ganzes Stück gelaufen sein musst!", erklärte sie stolz und ich war abermals erstaunt, wie verrückt meine Familie manchmal sein konnte.

,,Ooookay, Sherlock Holmes, stalkst du mich jetzt oder was?" ,,Nope, hab dich einfach nur gesehen, als ich in der Küche stand", diese verdammte Küche. Das die einem aber auch immer zum Verhängnis wurde. Sah so aus, als würde ich auch öfter mal aus diesem Fenster starren müssen, um interessante Dinge zu beobachten.
,,Ja ok, er hat mich nicht nach Hause gefahren, ich bin mit dem Bus gefahren... und?", ich runzelte die Stirn und Mila zuckte mit den Schultern.
,,Ich frag mich nur warum du gelogen hast. Und warum du schon so früh nach Hause gekmmen bist, es war doch gerade mal... halb 10 oder so?!", bestand meine Familie tatsächlich nur aus Hobbydetektiven? Konnten die sich nicht mal was anderem widmen, als meinem Leben?
,,Du warst doch nicht wieder high, oder?", sie riss ihre Augen weit auf und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gewettet, dass sie ihr jeden Moment rausfallen würden.
,,Nein! Die Party war einfach scheiße, in Ordnung? Ich hatte... einfach keine Lust auf die Nachfragen von Mama und Papa, ob denn was passiert ist und so weiter. Es war nur langweilig, nichts weiter!", riegelte ich sofort ab, bevor sie auch noch auf die Idee kam, weiter nachzuhaken.
,,Kann ja nicht jede Party ein voller Erfolg sein. Zufrieden, oder willst du doch lieber die Polizei rufen, um die meine Aussage auch nochmal aufnehmen zu lassen?", fragte ich und streckte ihr die Zunge raus, denn auch wenn sie mich ein wenig nervte, war ich ihr nicht böse. Ich hätte an ihrer Stelle wahrscheinlich auch nachgefragt.

Alles türkisch, oder was?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt