Kapitel 39

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Auch wenn ich erst spät nach Hause kam und mich auf meinem Fahrrad verausgabt hatte, bekam ich die halbe Nacht kein Auge zu... und wenn, dann döste ich eine Weile vor mich hin, träumte irgendeinen wirren Mist und war wieder wach. Ich war fast froh, als mein Wecker mir signalisierte, dass es halb sieben war und ich aufstehen konnte... musste.
Natürlich hatte ich Angst davor, ihn zu sehen, auch wenn ich mir in der Nacht alle möglichen Szenarien ausgemalt hatte, aber ich war mir sicher, dass mir keine davon passen würde. Egal, ob er mich ignorierte oder mich anschrie, alles war scheiße. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht und das Essen bei meinen Eltern verhindert. Andererseits stellte ich mir die Frage, ob das auf Dauer etwas verändert hatte. Das ich ihn wohl nicht glücklich machen konnte, war mir schließlich schon beim Auftauchen von Marie bewusst geworden, aber da hatte ich es noch erfolgreich beiseite schieben können. Doch nach seiner Reaktion auf das Verhalten meiner Eltern war mir einfach klar geworden, dass er gar nicht glücklich sein konnte. Wie auch, wenn sich ständig jemand einmischte? Wenn man beleidigt und verprügelt wurde, nur weil man mit einer Person zusammen war...

Mit einem Seufzen kämpfte ich mich aus meiner Decke und stand auf, um mir aus meinem Schrank ein Outfit zusammenzusuchen, welches letztendlich aus einem schwarzen T-Shirt mit V-Ausschnitt und einer hellen Skinnyjeans bestand. Anschließend ging ich weiter ins Badezimmer, wo ich mir besonders viel Zeit ließ, schließlich legte ich nicht viel wert darauf, noch mit der Familie zu frühstücken oder mich großartig mit ihnen zu unterhalten. Ich duschte also ein wenig länger als sonst, machte mir in Ruhe die Haare und trug Make-Up auf. Danach ging ich wieder in mein Zimmer und wartete da, bis Marco mir schrieb, dass er vor der Tür stand, ehe ich mir meine Tasche schnappte, nach unten ging und das Haus auf schnellstem Wege verließ. Kein "Guten Morgen", kein "Bis später", nicht einmal ein Blick in Richtung meiner Eltern. Die Rolle der eingeschnappten Zicke hatte ich in den letzten Jahren perfektioniert und endlich wurde das mal nützlich. Aber mal im ernst... Ich brauchte keine weitere Konfrontation mit ihnen, dafür hatte ich momentan auch gar keine Kraft mehr.

,,Naaa, wie geht's? Wow, für einen Moment dachte ich, dass eine Fremde in mein Auto steigt!", unbeeindruckt blickte ich zu dem Scherzkeks neben mir, der mich gut gelaunt angrinste, was ich leider nicht erwidern konnte. Ich war angespannt, mir war schlecht und ich wollte absolut nicht zur Schule, aber ich hatte wohl keine andere Wahl.
,,Sehr witzig"
,,Ach komm schon, versuch locker zu bleiben! Was soll schon passieren?", genau das wusste ich eben nicht und das war es, was mich fast wahnsinnig machte. Die Ungewissheit und die vielen Situationen, die man sich im Kopf ausmalte, waren schlimmer als alles andere.
Als Marco merkte, dass ich darauf wohl keine Antwort hatte, seufzte er leise: ,,Du schaffst das. Und ab heute wird es jeden Tag leichter. Ich bin für dich da!"
,,Danke, aber das weiß ich doch! Ohne dich wäre ich sowieso längst durchgedreht", ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln und hoffte, dass er recht hatte und es nach heute tatsächlich jeden Tag leichter wurde. Schlimmer konnte es ja ohnehin nicht mehr werden.

Mit wackeligen Beinen stieg ich nach einer viel zu kurzen Fahrt aus dem Auto meines besten Freundes, an welches ich mich am liebsten gekettet hätte, aber jegliche Fluchtmöglichkeit wurde mir genommen, indem Marco einen Arm um mich legte. Fast so, wie Celal es letztens noch getan hatte, als die Sache mit Sophie und Emilia eskaliert war. Augenblicklich spürte ich wieder diesen Kloß im Hals und hatte gleichzeitig das Gefühl, mir würde jemand die Luft abschneiden, doch ich versuchte stark zu bleiben, tief durchzuatmen und die Tränen einfach wegzublinzeln. Ich war nicht schwach. Ich würde das schaffen. Ich war nicht abhängig von einem Typen und mein Leben war jetzt nicht vorbei. Ich musste nach vorne sehen. Ganz davon abgesehen hatte ich den besten Freund an meiner Seite, den ich mir wünschen konnte. Ich war nicht allein und das war die Hauptsache!

,,Okay, wenn du ihn siehst, warn mich bitte vor. Vielleicht habe ich dann noch ein paar Sekunden Zeit, mich irgendwie seelisch darauf vorzubereiten oder so", nuschelte ich Marco zu, als wir das Gebäude betreten hatten. Es hatte bereits geklingelt und es wimmelte nur so vor Schülern, die zu ihren Klassenräumen eilten, oder noch schnell ein paar Worte mit Freunden austauschten. Wieder hier zu sein war eigenartig. Obwohl ich nur zwei Tage gefehlt hatte, fühlte es sich an, als sei ich wochenlang nicht in der Schule gewesen. Diese ganzen Leute, der Lärm, das alles wirkte gerade wahnsinnig anstrengend. Ich bemühte mich um ein Lächeln, denn ich hatte keine Lust auf Fragen oder verwirrte Blicke, auch wenn sich wohl schnell rumsprechen würde, dass wir uns getrennt hatten. Sowas blieb an dieser Schule nicht lange ein Geheimnis, dafür tratschten meine Mitschüler viel zu gerne... zugegeben, ich liebte das auch, solange es mich nicht betraf.

Alles türkisch, oder was?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt