Kapitel 42

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,,Das macht dann 10,80€", mit einem Lächeln legte ich den Gästen ihre Rechnung auf den Tisch und bekam kurz darauf einen 20€ Schein gereicht, von dem ich mir ganze 4,20€ in die eigene Tasche stecken durfte.
,,Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag", ich schloss das Portemonnaie, nahm das Tablett vom Tisch und ging wieder zurück in die Eisdiele. Die Sommerferien hatten begonnen, was für mich aber nicht hieß, dass ich nur auf der faulen Haut lag. Ja okay, ich hätte gerade auch lieber am Pool gelegen und mich von der Sonne brutzeln lassen, aber der der Job lenkte mich ab und ich konnte Geld für meinen Führerschein sparen, den ich bald endlich in Angriff nehmen wollte.
Zudem war das Lokal nicht weit weg von zu Hause, mit dem Fahrrad war ich etwa fünf Minuten unterwegs. Die Kollegen waren nett und hatten mich super empfangen, die Kunden gaben gutes Trinkgeld, was wollte man mehr? Achja, natürlich durfte ich so viel Eis essen wie ich wollte, aber da ich meine Bikini Figur nicht komplett ruinieren wollte, hatte ich mir bisher erst einen Becher Kokoseis gegönnt.
Das Beste an dem Nebenjob war allerdings, dass ich meinen Eltern weiterhin aus dem Weg gehen konnte. Inzwischen wechselte ich ein paar Worte mehr mit ihnen, aber ich war noch immer verletzt. Außerdem konnte ich verdammt stur sein und das bekamen sie gerade zu spüren. Angeblich waren sie ja sooo stolz auf mich, dass ich mir mein erstes eigenes Geld verdiente, aber für mich war das nichts besonderes. Ich brauchte Geld, also arbeitete ich dafür. Ich würde ganz sicher nicht meine Eltern bitten, mir meinen Führerschein zu finanzieren. Ich wollte mir das selber ermöglichen, um mir später nicht anhören zu müssen, dass ich ein verwöhntes Miststück war, was sich alles in den Hintern schieben ließ.

,,Naa Eisprinzessin?", ich drehte mich um und wurde im gleichen Moment schon von John in die Arme geschlossen. Mir stieg der Duft von frisch gewaschener Wäsche und Parfüm in die Nase, als ich ihn an mich drückte. Es war schon lustig, dass wir vor etwa einer Woche das erste Mal miteinander gesprochen hatten und trotzdem schon so vertraut waren.
Ich hatte das Gefühl, als kenne ich ihn schon viel länger, was vielleicht nicht zuletzt daran lag, dass wir beim Schulball eine echt tolle Zeit miteinander gehabt hatten. Wir hatten getrunken, getanzt, alberne Fotos von uns machen lassen und uns prächig über die Wahl zur Prom Queen und zum Prom King amüsiert. Ich hatte Celal tatsächlich für eine Weile vergessen können, auch wenn ich seine Blicke an diesem Abend immer wieder auf uns gespürt hatte.
Mitten in der Nacht hatte John mich schließlich nach Hause gebracht und wir hatten unsere Nummern ausgetauscht. Seitdem war kein Tag vergangen, an dem wir nicht zumindest am Telefon miteinander gequatscht hatten. Marco war letzten Sonntag in den Urlaub geflogen und ich war wirklich froh, dass ich durch John (der immer wieder darauf bestand, dass ich ihn Murphy nannte) nicht komplett alleine in Berlin war.
,,Eisprinzessin! Nur weil ich Eis verkaufe?", ich verdrehte die Augen, als ich mich aus der Umarmung löste und ihm freundschaftlich auf den Oberarm boxte.
,,Komm schon, dass war kreativ"
,,Ähh... naja, hauptsache du glaubst selbst daran", grinsend versuchte ich mich wieder an ihm vorbei zu quetschen, weil sich neue Gäste an einem der Tische draußen eingefunden hatten, aber Murphy hielt mich fest und blickte mir für einen Moment in die Augen. ,,Was hast du nach Feierabend vor?"

Ich überlegte kurz, zuckte dann mit den Schultern. ,,Bis jetzt noch nichts, warum? Hast du eine Idee?"
,,Ja, vielleicht schon!?"
,,Ganz geheimnisvoll also", lachte ich und schnappte mir meinen kleinen Block aus der Kellnertasche, die mir um die Hüfte hing.
,,Ich bin dabei! Um 20Uhr habe ich Feierabend, also iiin einer knappen Stunde"
,,Okay, ich muss dann noch ein paar Sachen besorgen und bin pünktlich wieder hier"
,,Geht klar", lächelte ich und ließ mir einen Kuss auf die Wange drücken, ehe wir gemeinsam nach draußen liefen, nur das Murphy weiter in die Freiheit ging und ich die nächsten Gäste bediente.
,,Hallooo! Kann ich schon-", ich stockte, als ich die Zwei erkannte, die dort am Tisch saßen. Die hatten mir gerade noch gefehlt. Nina lächelte mir selbstgefällig ins Gesicht und versuchte auch noch so zu tun, als sei sie ganz überrascht, mich hier zu sehen.
,,Nalaaa, was machst du denn hier?", quietschte sie fast und legte die Karte beiseite, während ich mich fragte, wann wir uns so gut kennengelernt hatten, dass das ihre Begrüßung rechtfertigte. Wir kannten uns nämlich eigentlich überhaupt nicht, aber wahrscheinlich hatte Celal ihr einiges über mich erzählt, damit sie die Rolle perfekt spielen konnte. Ich nahm ihnen dieses Ganze "Wir sind ineinander verliebt" immernoch nicht ab und ich würde es wahrscheinlich auch nie.

Das Lächeln war mir schon lange aus dem Gesicht gewichen, stattdessen bemühte ich mich jetzt darum, nicht vollkommen genervt zu wirken, aber wahrscheinlich scheiterte ich kläglich.
,,Ähh ich arbeite hier?!", war das nicht offensichtlich? ,,Also, kann ich eure Bestellung schon aufnehmen, oder braucht ihr noch ein wenig Zeit?", ich hatte keine Lust auf Smalltalk. Ich wollte nur wissen, was sie haben wollten und dann wieder verschwinden. Celal sah ich gar nicht erst an, wahrscheinlich wäre die Situation dann nur eskaliert.
,,Wir brauchen noch was, oder Schatz?"
Schatz. Ich musste mich echt beherrschen, nicht laut loszulachen, was wahnsinnig viel Kraft kostete. Äußerlich blieb ich aber cool, steckte den Notizblock und meinen Kuli weg.
,,Dann komme ich nochmal wieder", und damit verschwand ich im Inneren des Eiscafés, um einen großen Schluck von meiner Cola zu trinken.
Was zog er hier denn schon wieder für eine lächerliche Show ab? Es gab tausende Eiscafés in Berlin, warum tauchte er ausgerechnet hier auf und dann auch noch mit Nina? Und er wollte mich wirklich davon überzeugen, dass er das nicht extra machte? Das er das nicht machte, um mir irgendeine Reaktion zu entlocken? Das kaufte ich ihm absolut nicht ab.
Mit einem Seufzen strich ich mir ein paar Strähnen meiner Haare aus dem Gesicht, die ich heute vormittag zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden hatte. Für einen Moment überlegte ich, den Tisch einer Kollegin zu überlassen oder mit einer Ausrede eher Feierabend zu machen, doch diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Ich war stärker, ich stand das durch. Und er würde nicht seinen Willen bekommen.

,,Hey, wo sind denn hier die Toiletten?", ich blickte zur Seite und diesmal konnte ich es mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen. Er ließ wirklich keine Gelegenheit aus, mit mir ins Gespräch zu kommen, oder?
,,Geradeaus und dann rechts", antwortete ich knapp und wollte mich von ihm abwenden, als er wieder zu sprechen begann.
,,Sag mal... ist das mit Murphy eigentlich dein ernst? Der ist doch gerade hier rausgekommen, oder? Auf dem Ball wart ihr auch schon zusammen. Seit wann gibst du dich mit so 'nem Abschaum ab?"
Abschaum? Ging's noch? Mein Herz begann schneller zu schlagen, diesmal allerdings eher, weil mich seine Worte so wütend machten und nicht, weil ich in ihn verliebt war. Vielleicht war ich das noch, aber er machte es mir gerade mehr als einfach, die Trennung zu verarbeiten.
Ich atmete tief durch, machte mich gerade und blickte ihm in die Augen.
,,Celal, ich weiß nicht, warum du überhaupt mit mir redest, schließlich existiere ich für dich doch nicht mehr, oder habe ich da letzte Woche was falsch verstanden? Abgesehen davon habe ich keine Ahnung, was dich das angehen sollte?! Wie wir beide schon festgestellt haben, sind wir nicht mehr zusammen. Ich soll mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen, also halt du dich doch bitte auch aus meinen raus", zischte ich ihm zu, versuchte aber nicht zu laut zu sprechen, schließlich wollte ich nicht, dass meine Kollegen diese Diskussion mitbekamen. Beim Chef würde es wohl auch nicht so gut ankommen, wenn ich von nun an meine Konflikte in seinem Laden austrug.

,,Chill mal! Ich mein's nur gut. Der Typ hat sie nicht mehr alle. Du solltest kein Wort von dem glauben, was er so erzählt, der ist ein verbitterter Außenseiter. Halt dich besser von ihm fern"
Er machte mich wahnsinnig. Seine Worte trieben mich zur Weißglut und am liebsten wäre ich auf ihn losgegangen. Ich hatte es so satt, mich trotz der Trennung ständig mit ihm herumschlagen zu müssen. Ich hatte keine Lust auf Streit und Diskussionen, auf Gerüchte und seine "gut gemeinten" Ratschläge.
,,Merkst du es nicht? Ich brauche und möchte deine Hilfe nicht mehr! Ich habe noch nie darauf gehört, wenn mir jemand gesagt hat, ich solle mich von jemanden fernhalten, denn sonst wären wir Beide nie zusammengekommen! Vielleicht wäre das sogar besser gewesen! Damit ist das Gespräch für mich beendet. Und ich wäre dir echt dankbar, wenn du dich in Zukunft wirklich von MIR fernhalten würdest, anstatt mir ständig hinterherzurennen, was du ja angeblich so satt hast. Steh endlich zu dem, was du so von dir gibst. Anscheinend kann man dir auch kein Wort mehr glauben!"

Alles türkisch, oder was?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt