Kapitel 46

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Mit einem einfachen, knappen "Tschüß" hatten wir uns verabschiedet, als wäre zwischen uns nie etwas gewesen. Als hätten wir nie eine Beziehung geführt. Als wären wir nie gemeinsam durch dick und dünn gegangen.
Der schwarze BMW verschwand aus unserer Auffahrt und ich fühlte nur noch Wut, Trauer... und Leere. Das sollte es gewesen sein? Einfach so? Endgültig?
Mechanisch drehte ich mich zu unserer Haustür, wollte diese aufschließen, als sie im gleichen Moment schon aufgerissen wurde und ich in das wütende Gesicht meiner Mutter sah.
,,Wo warst du und mit wem?"
Die hatte mir gerade noch gefehlt. Es war schon erstaunlich, dass meine Eltern immernoch einen draufsetzen konnten, wenn es mir sowieso schon beschissen ging.

,,Lass mich in Ruhe", ich schob sie unsanft zur Seite und quetschte mich an ihr vorbei. Leider kam ich nur bis zur Treppe, denn da hatte sie mich schon wieder am Arm gepackt und wirbelte mich zu sich herum.
,,Fräulein, so langsam habe ich die Nase voll von dir und deinen Launen! Wir haben verstanden, dass du auf uns sauer warst, aber es reicht jetzt! Wenn dieser... dieser... Typ sich nicht benehmen kann, dann-"
,,Halt doch einfach mal die Klappe", zischte ich und ja, auch ihr hätte ich gerade am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Hey, das machte sie doch auch mit mir, also eigentlich hatte ich jedes Recht, es ein einziges Mal ebenfalls zu tun.
,,Merkt ihr eigentlich gar nichts mehr? Ihr habt alles kaputt gemacht! Celal und ich sind schon lange nicht mehr zusammen, unter anderem wegen euch, okay? Und ihr könnt euch freuen, es gibt auch keine Hoffnung mehr darauf, dass wir jemals wieder zusammen kommen, denn er hat keinen Bock mehr auf den ganzen Stress mit euch. Habt ihr echt toll gemacht. Hey, macht doch einen Champagner auf und feiert, dass ihr den beschissenen Kanaken Lover von eurer Tochter endlich erfolgreich vertrieben habt!", ich schrie ihr ins Gesicht und dabei war es mir auch egal, dass ich so laut war, dass wahrscheinlich selbst unsere Nachbarn noch jedes einzelne Wort hören konnten. Sollten sie doch. Es konnte ruhig jeder wissen, dass in diesem Haus verdammte Rassisten lebten, die das Leben ihrer Tochter gerne zur Hölle machten.
,,Ich hasse euch! Ich hasse euch so sehr! Es wird jeden Tag schlimmer und ihr merkt es nicht. Ihr denkt auch noch, dass ihr im Recht seid. Und wie es mir geht, wie ich mich fühle, ist euch scheißegal. Hauptsache dieser scheiß Türke belästigt euch nicht mehr. Hauptsache ihr braucht niemandem von dem Freund eurer Tochter zu erzählen. Es gab mal eine Zeit, da hat es mir weh getan, dass ich euch nie etwas recht machen konnte. Das ich nie die perfekte Tochter sein konnte, die ihr haben wolltet, aber jetzt scheiß ich drauf!", ich riss mich los, sah ihr einen Moment in die Augen und genoss den entgeisterten Ausdruck auf ihrem Gesicht, ehe ich die Treppen nach oben rannte und in meinem Zimmer verschwand.

Die Wut half mir den Liebeskummer für einen Moment zu verdrängen, aber kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, liefen mir wieder die Tränen über die Wangen... und jetzt wo ich alleine war, heulte ich einfach ohne Hemmungen los. Mein Leben war gerade ein einziger Scherbenhaufen... ich hatte jeden Grund zu weinen.
Irgendwann hörte ich es an meine Tür klopfen, aber ich hatte einfach keine Kraft mehr, mich weiter mit meinen Eltern auseinanderzusetzen.
,,Hau ab!"
,,Ich bin's, Mila", oh fuck. Meine arme Schwester. Wahrscheinlich hatte sie den Streit zwischen meiner Mutter und mir auch mitbekommen und augenblicklich tat es mir leid, dass ich wie eine Irre durch das Haus geschrien hatte.
,,Komm rein!", ganz langsam öffnete sich die Tür, nur so weit, dass Mila sich hineinquetschen konnte, dann schloss sie sie wieder.
,,Hey...", mit einem vorsichtigen Lächeln trat sie zu mir ans Bett und setzte sich schließlich.
,,Mila, hör zu, es tut mir leid, dass-"
,,Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Ich... wahrscheinlich war es längst überfällig, dass ihr euch mal anschreit. Dieses Schweigen hält auf Dauer doch kein Mensch aus. Aber... was zum Teufel ist denn da heute passiert, dass das alles eskaliert? Also... du musst es mir nicht sagen, nur...", meine Schwester zuckte mit den Schultern und fummelte an ihren Nägeln herum, die rosa lackiert waren. Sie war anscheinend unsicher oder hatte sie vielleicht sogar Angst, mich darauf anzusprechen? War ich zu so einem Monster mutiert?

,,Hey, du kannst mich fragen, das ist kein Problem. Ich ziehe dich da so oft rein, wenn jemand ein Recht hat zu erfahren, was los ist, dann du. Ich... ich habe mich heute mit Celal getroffen um etwas von ihm zu erfahren. Ein... Freund hat mir etwas erzählt", ob Murphy wirklich ein Freund war, konnte ich nach heute nicht mehr so genau sagen. Wenn er wirklich dieses Mädchen abgefüllt und begrabscht hatte, wollte ich ungern noch etwas mit ihm zutun haben. Das war keine Sache, über die man irgendwann lachte und mit einem "Ach, ich war halt betrunken" abtat. Natürlich war Celals Aktion auch nicht in Ordnung gewesen, aber er hatte es schließlich nicht aus Lust und Laune getan.
Ich atmete tief durch und strich mir die Tränen von den Wangen.
,,Er meinte Celal hätte mir nicht die ganze Wahrheit über sich erzählt und... das er wegen Körperverletzung im Jugendarrest gelandet ist. Ich wusste, dass er früher scheiße gebaut hat und Sozialstunden machen musste, aber... das war mir neu. Jedenfalls hat mir Celal heute gebeichtet, dass das stimmt und naja... es hat sich herausgestellt, dass er mir nicht davon erzählen wollte, weil er sowieso immer dachte, dass er nicht gut genug für mich ist und mir nicht das Wasser reichen kann. Er hatte anscheinend Angst, dass ich in ihm auch nur noch den vorbestraften Ausländer sehe und ihn abschieße", schloss ich und atmete tief durch, während Mila mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.

,,Okay... und das glaubst du? Sorry, aber ich hätte an seiner Stelle auch irgendeine traurige Geschichte erzählt, damit ich nicht wie der letzte Penner dastehe. Schrei mich jetzt bitte nicht sofort an!", Mila hob abwehrend die Hände und tatsächlich schaffte sie es, mich kurz zum Lachen zu bringen. Ich war anscheinend echt schlimm geworden.
,,Theoretisch hast du da recht aber... du hast ihn nicht gesehen. Er war total fertig und... nein, das war nicht gelogen. Im Endeffekt macht das jetzt eh keinen Unterschied mehr. Aus uns wird nichts mehr, das hat er heute mehr als deutlich gemacht..." meine Stimme wurde leise, während ich gedankenversunken an meiner Decke rumzupfte, in die ich mich eingekuschelt hatte.
,,Was? Wieso das denn?"
,,Hast du das vorhin nicht mitbekommen? Das Risiko, dass wir wieder nur Steine in den Weg gelegt bekommen und daran nochmal kaputt gehen, ist ihm wohl zu groß... und das kann ich gut verstehen. Gott, du glaubst gar nicht wie gerne ich einfach von hier abhauen würde. Wenn du nicht wärst... und Marco. Ich glaube dann wäre ich längst weg"
Ich hörte Mila leise seufzen, ehe sie mich kurzerhand in die Arme schloss. Einen Moment hielt ich inne, doch dann erwiderte ich ihre Umarmung und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Ich war echt stolz auf meine Schwester. Sie benahm sich in dieser ganzen Situation so erwachsen und stärkte mir den Rücken, war für mich da. Und genau das brauchte ich jetzt. Ich konnte nicht ausdrücken, wie dankbar ich ihr dafür war.

,,Es kommen auch wieder bessere Zeiten, Nala. Gerade ist vielleicht alles scheiße, aber der Liebeskummer wird weniger und vielleicht kannst du dich dann auch wieder mit Mama und Papa vertragen", sagte sie, als sie mich wieder losließ, aber alles, was ich dafür übrig hatte, war ein müdes Lächeln. Ich wollte ihre Hoffnung nicht zerstören, also nickte ich bloß. Ich glaubte leider nicht daran, dass irgendwas auch nur ein bisschen besser werden würde, aber vielleicht geschah ja doch noch ein Wunder.

Alles türkisch, oder was?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt